In einem Waldstück. abseits der Strasse etwas oberhalb der Hergiswaldstrasse, fand die Hinrichtung statt. So hat Zeichner Ludwig Suter die düstere Szenerie in der «Seetaler Brattig» 2018 gezeichnet. | © 2018 Seetaler Brattig

*Hans Moos, Ballwil | aus der «Seetaler Brattig» 2018

«Die Todesurteile der Militärgerichte an den Fourieren Zürcher und Feer und am Fahrer Schrämli sind, nachdem die Begnadigungsgesuche abgewiesen worden sind, am Abend des 10. und am frühen Morgen des 11. November 1942 in militärischer Weise vollzogen worden.» Die knappe amtliche Mitteilung steht am 12. November im «Luzerner Tagblatt». Kommentarlos. Einer der drei wegen Landesverrats hingerichteten Wehrmänner ist Seetaler: Jakob Feer aus Ballwil, geboren 1918, Fourier bei der Nachschubkompanie 8, von Beruf kaufmännischer Angestellter. Bis zu seiner Verhaftung im Frühjahr 1942 wohnt er mit seinen Eltern und vier Geschwistern im damaligen Schulhaus, dem heutigen Gemeindehaus. Sein Vater ist Abwart und Gemeindearbeiter.

Ein Seelendrama

Am 10. November, «in der letzten Nacht auf Erden», wie er schreibt, hat sich Jakob Feer mit einem bewegenden Brief aus dem Zentralgefängnis Luzern von seiner Familie verabschiedet: «Liebes Mutti, lieber Vater und liebe Geschwister, trauert nicht so um mich, dankt Gott, dass er mir die Gnade verliehen hat, so vorbereitet in den ewigen Frieden einzugehen.» Wenige Stunden später, am 11. November, kurz nach sieben Uhr, fallen auf dem Richtplatz oberhalb der Hergiswalder Brücke, nahe der Strasse ins Eigenthal, die tödlichen Schüsse des Exekutions-Kommandos. Ein erschütterndes Seelendrama geht zu Ende – zumindest für den jungen Jakob Feer. Werden aber seine Angehörigen und Freunde sich von diesem Schock und dieser Schmach je befreien können?

Mitgehangen – mitgefangen

Die Verfehlung des strebsamen, eher unauffälligen Fouriers wog zweifellos schwer. Als Gehilfe im Minenbüro des Armeekorps 2 hatte er Zugang zu hochgeheimen Dokumenten. Über Monate lieferte er dem Dienstkollegen Werner Zürcher detaillierte Informationen über Sprengstoffdepots und Sprengobjekte sowie die Namen der dafür verantwortlichen Personen. Zürcher leitete diese an Spione im Dienste von Nazi-Deutschland weiter. Im März 1942 flog der Spionagering auf, 37 Personen wurden angeklagt, unter ihnen Werner Zürcher und Jakob Feer. Dieser machte im Militärstrafprozess geltend, er sei sich nicht bewusst gewesen, dass seine Notizen und Skizzen bei deutschen Agenten landeten. Die Richter nahmen ihm dies aber nicht ab, zumal Aussagen des Kollegen Zürcher ihn schwer belasteten. Am 25. September 1942 sprach das Divisionsgericht 8 Jakob Feer und Werner Zürcher der wiederholten Verletzung militärischer Geheimnisse schuldig und verurteilte beide zum Tode durch Erschiessen. Sie waren die ersten von insgesamt 17 Tätern, die zwischen 1942 und 1945 – auf Grund einer Sonderverordnung des Bundesrats – wegen Landesverrats mit der Todesstrafe belegt und hingerichtet wurden.

Keine Gnade in Bern

Die Presse hat sich mit dem Fall mehrmals beschäftigt, dabei aber wenig Bezug auf Herkunft und Persönlichkeit der Täter genommen. Aus Geheimhaltungsgründen flossen die Informationen der Justizorgane ohnehin spärlich. Ein gewisses Aufsehen erregten die geheimen Beratungen der Bundesversammlung, die über die Begnadigungsgesuche zu entscheiden hatte. Das Luzerner «Vaterland» sprach von einem historischen Tag, da die Bundesversammlung erstmals über Leben und Tod von verurteilten Landesverrätern zu befinden hatte. Das Ergebnis der mehrstündigen Beratungen war eindeutig: Beide Gesuche wurden ganz klar abgelehnt, jenes von Fourier Feer mit 200 gegen 21 Stimmen. «Eine dem auch in der Schweiz herrschenden Kriegsrecht innewohnende Gerechtigkeit hat mit logischer, unerbittlicher Strenge gewaltet und walten müssen», kommentierte das «Vaterland».

«Schmach und Schande»

Im «Seetaler Bote» hatte am 2. Oktober Redaktor Fritz Hofstetter die Todesurteile des Divisionsgerichts 8 in seiner Wochenchronik thematisiert, allerdings ohne jeden Hinweis auf den Täter aus dem Seetal. Die Anwendung der Todesstrafe sei schon in früheren Fällen «in der Presse und in weiten Kreisen des Volkes» gefordert worden. «Solche landesverräterischen Umtriebe sind eine Schmach und eine Schande für die Schweiz», stellt der Chronist fest. Da sei es nur verständlich, dass das Volk schon lange ein «rücksichtsloses hartes Zugreifen verlangte». Danach herrschte Stillschweigen im Lokalblatt.

Ein Sänger verstummt

In Ballwil sprach man über Jahrzehnte nicht gerne vom Fall Feer, wohl nicht zuletzt aus Rücksicht auf die damals noch im Dorf lebenden Angehörigen. Auch im Kirchenchor mied man das Thema. Der Bass-Sänger Kobi Feer war 1934, gerade mal 16 Jahre alt, in den damaligen Cäcilienverein eingetreten. Ein Vereinsfoto von 1938 zeigt den schmächtigen Jüngling mit Brille im flotten Sonntagsstaat neben seiner Schwester Margrith. Die nächste in der Reihe ist Cilla Jans, Tochter des Chordirigenten Robert Jans und Schwester von Richard Jans, einem Freund von Kobi. Auch mit Cilla verbindet ihn eine Freundschaft. «Sagt dem lieben Cilly noch herzliche Grüsse», bittet er seine Eltern im letzten Brief. Von einem Austritt oder Ausschluss des verurteilten Sängers ist im Protokollbuch des Cäcilienvereins nichts zu finden. Bei der Generalversammlung vom 10. Dezember 1942 erhoben sich laut Protokoll die Anwesenden zu Ehren von drei verstorbenen Passivmitgliedern; Jakob Feer wird nicht erwähnt. Im Sterbebuch der Pfarrei fehlt der Eintrag, weil die Hingerichteten nicht am Wohnort, sondern im Luzerner «Friedental» beigesetzt wurden.

Geschichte eines Verführten

Um die Jahrhundertwende hat Josef Sidler, der frühere Rektor der Kantonsschule Hochdorf, die Wand des Schweigens durchbrochen. In seinem Buch «Schatten über dem Tal» stellte er das «tragische Schicksal des Landesverräters Jakob Feer», so der Untertitel, packend und einfühlsam dar. Er stützte sich dabei auf umfangreiche Recherchen, die er, nicht unproblematisch, mit fiktiven Elementen romanhaft verknüpfte. Das Buch brachte aber auch so viele Fakten an den Tag. Es ist die Geschichte eines Verführten aus einfachen Verhältnissen, der Anerkennung und Arbeit suchte und dabei ins Abseits geriet. Eindrücklich schildert der Autor den letzten Akt des Dramas. Die Fragwürdigkeit der Todesstrafe ist mit Händen zu greifen.

«Nie hätte ich an Verrat gedacht»

Jakob Feers persönliches Fühlen und sein tiefer Glaube kommen in drei letzten Briefen deutlich zum Ausdruck. Kopien dieser bisher kaum bekannten Schriftstücke habe ich unlängst dank der Aufmerksamkeit eines Freundes aus einem Privatarchiv erhalten. Sie haben mich überrascht und berührt. Am 30. September 1942, kurz nach dem Todesurteil, aber noch den Strohhalm der Kassation und der Begnadigung vor Augen, schreibt Jakob Feer seinem Freund Richard Jans: «…das Schwerste für mich ist das, wenn ich denken muss, was meine lieben Eltern, die für mich ja immer viel Gutes getan haben und es immer nur gut meinten mit mir, und auch meine lieben Geschwister zu leiden haben. (…) Ich glaube Dir, dass Du nicht begreifen kannst, wie ich zu einer solchen Handlung kam, und ich gestehe Dir offen, dass ich heute noch mit diesem Gedanken nicht fertig werde mit mir selber und es einfach nicht begreifen kann.» Er habe «gedankenlos und leichtsinnig gehandelt», räumt er ein, hält jedoch fest: «Nie wollte ich unserem lieben Vaterland schaden, nie hätte ich an Landesverrat gedacht. Durch die auferlegte Strafe hoffe ich meine Tat zu sühnen vor Gott und den Menschen, und ich hoffe auch, dass alle diese schweren Leiden nur zum Heile unseres lieben Schweizerlandes seien.»

Gefasst und vorbereitet

Seinen Bruder Seppi bittet Kobi in einem kurzen Abschiedsbrief, datiert vom 10. November, mit andern Menschen nicht mehr zu reden, «über das, was gewesen ist, verzeihe allen. Trage keine Rache im Herzen.» Im oben zitierten Brief an seine Eltern, ebenfalls am Vorabend der Hinrichtung geschrieben, zeigt sich der Todeskandidat gefasst: «Manche schwere Stunde habe ich durchgekämpft, bis ich mich von der Welt losgelöst hatte. Heute bin ich so weit, dass mich nichts mehr an die Welt fesselt. Wie schön ist es doch, so vorbereitet zu sterben. Noch ein paar Stunden und dann bin ich erlöst.»

Hans Moos (geboren 1944) war nach einem Rechtsstudium und ersten Berufsjahren in der Bundesverwaltung Redaktor beim «Vaterland», der «Luzerner Zeitung» und «Neuen Luzerner Zeitung», später Persönlicher Mitarbeiter eines Regierungsrats und von 2001 bis 2012 Gemeindepräsident von Ballwil, wo er mit seiner Familie seit 1985 lebt

Hans Moos (geboren 1944) war nach einem Rechtsstudium und ersten Berufsjahren in der Bundesverwaltung Redaktor beim «Vaterland», der «Luzerner Zeitung» und «Neuen Luzerner Zeitung», später Persönlicher Mitarbeiter eines Regierungsrats und von 2001 bis 2012 Gemeindepräsident von Ballwil, wo er mit seiner Familie seit 1985 lebt.

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