*Willy Nick und Martin Bühlmann
Die Namenforscher sind sich über die Herkunft des Namens Wendelin nicht ganz einig. Während die einen im Namen des Bauernheiligen den germanischen Stammesnamen Wandalen erkennen, vermuten die andern im Wort Wendelin das althochdeutsche Wort wantal, was Veränderung, Wechsel, Lebenswandel bedeutet. Diese letztere Deutung passt sehr gut zum heiligen Einsiedler, der alles andere als ein festgefahrener, verknöcherter Mensch war.
Wendelin war der Sohn eines irischen oder schottischen Königs und bekam eine entsprechende Ausbildung, damit er einmal als guter und weiser König über sein Volk herrsche. Doch der schöne und vielversprechende Prinz hatte ganz andere Pläne: in Einsamkeit und äusserster Armut wollte er dem höchsten König der Welt, Jesus Christus, dienen. In einem ärmlichen Pilgerkleid besuchte er die Gräber der Apostel Petrus und Paulus in Rom, um sich dann nach langer Wanderung in der Gegend von Trier auf einem einsamen Hügel mitten im Wald niederzulassen.
Niemand wusste, wer der fromme Einsiedler in seiner einfachen Zelle war, der sich zufrieden gab mit den Almosen, die er bekam. Als Wendelin einmal einen vorbeiziehenden Adeligen demütig um ein Almosen bat, hat ihn dieser ausgescholten: «Es wäre besser, du würdest Schweine hüten, als mit Betteln anderen Leuten zur Last zu fallen.» Der Einsiedler erkannte in diesen harten Worten Gottes Willen. Gleich nahm er bei einem Grossbauern die Stelle eines Schweinehirten an. Der Meister war mit ihm gut zufrieden und vertraute ihm bald Schafe und schliesslich Kühe an. Da die Tiere unter Wendelins Obhut besonders gut gediehen, lobte ihn sein Herr öfters und stellte ihn den andern Hirten als Vorbild hin.
Da wurden seine Kollegen neidisch und begannen, ihn zu plagen und ihm überall Hindernisse in den Weg zu legen. Diese äusseren Prüfungen ertrug Wendelin leicht. Viel schmerzlicher trafen ihn die inneren Versuchungen: das Heimweh nach den Angehörigen und nach dem angenehmen Leben am Königshof. Nur durch seine stete Verbundenheit mit Gott in Gebet und Meditation konnte er der Versuchung, davonzulaufen und heimzukehren, widerstehen.
Die Legende berichtet, dass der heilige Hirte sich stets in Gebet und Betrachtung versenkte, sobald er für die anvertrauten Tiere einen saftigen Weideplatz und genügend Trinkwasser gefunden hatte. Als es einmal auf einer besonders saftigen Wiese an Trinkwasser fehlte, habe Wendelin – wie Moses in der Wüste – mit seinem Hirtenstab auf die Erde geschlagen, und sogleich öffnete sich eine Quelle, die heute noch den St.Wendelinsbrunnen bei seinem Heiligtum im Saarland speist und von deren Wasser Menschen und Tiere vor Krankheiten verschont werden.
Nach vielen Jahren treuen Dienens bat Wendelin seinen Herrn, sich wieder in die Einsiedelei zurückziehen zu dürfen. Der Bauer erkannte die besondere Sendung Wendelins und willigte ein. Wendelin liess sich in einer Einsiedelei in der Nähe des Klosters Tholey nieder. Bald wurde er ein geistlicher Hirte für viele Bauern, die schon zu seiner Lebzeit seine besondere Heilkraft erlebten, wenn Menschen oder Tiere von Krankheit und Seuche bedroht waren.
Als der Abt des Klosters Tholey starb, wählten die Mönche den Einsiedler Wendelin zum Nachfolger. Zwanzig Jahre war er seinen Mönchen ein vorbildlicher Vater. Dadurch wurde er ein treuer Hirte in einem höheren Sinn. Als Wendelin starb, breitete sich über sein ärmliches Lager ein schneeweisses Tuch aus, worauf sich drei herrliche Kronen niederliessen. Dadurch wurde sein dreifaches Leben als Einsiedler, Hirte und Abt vom Himmel selbst gekrönt.
Überall in Europa wurden Wallfahrtskapellen zu Ehren des Hl. Wendelin gebaut, wo Bauern und ihre Angestellten sich am 20. Oktober zu vertrauensvollem Beten einfinden. Auch im Kanton Luzern finden sich Wendelinskapellen, so in Greppen, Krummbach, Lieli, Wauwil, Witwil, Aesch, Sandblatten, Gelfingen usw.
Kennt der Seetaler Bauer den heiligen Wendelin?
Wir haben an mehrere Seetaler die Frage gerichtet: Wann feiern wir den Wendelinstag? Ohne langes Studieren kam von der älteren Generation die Antwort, mit Überlegen und oft nur ungenauen Angaben von der mittleren. Natürlich weiss man es genau, wenn einer in der Familie oder in der Nachbarschaft Wendel heisst. Es ist der 20. Oktober.
Ob über der Stalltüre oder dem Tennstor ein Wendelin hänge? Ein sicheres «Jä jo!» kam meistens zurück, aber auch, man müsse zuerst schauen gehen, weil man nicht mehr sicher sei. An mehreren Scheunen ist die Wendel-Tafel im Laufe der Jahre verschwunden, weil der Stall umgebaut wurde, weil das Bild «nichts Hoffärtiges mehr» war oder weil es ganz einfach aus dem Rahmen fiel.
Weit verbreitet sind die Benziger-Kunstdrucke aus unserem Jahrhundert. Ältere Darstellungen, wie zum Beispiel Holzschnitte oder Statuen sind selten. So wie an Wendelin Muffs Scheune in Büttligen/Eschenbach findet man noch überall im Seetal Tafeln mit dem Bild des Hl. Wendelins über den Stalleingängen. Die handgemalten Bilder in den Helgenstöckli zu Ehren unseres Heiligen hätten dringend eine Restaurierung nötig. Aber die Besitzer eilen nicht. Die Angst vor dem Entwendet-Werden ist leider berechtigt. Das Wendelinschäppeli in Sandblatten bleibt aus diesem Grunde auch tagsüber geschlossen. Bis vor wenigen Jahren feierten die Rainer am 20. Oktober dort einen Gottesdienst. Der Pfarrer hat dann aber wegen des Verkehrslärms darauf verzichtet. Die Schongauer wallfahren am Donnerstag nach Allerseelen mit einem Car nach Greppen. Am Wendelstag selber feiert die Gemeinde in der Pfarrkirche, und an den Bittagen geht’s zu Fuss zur Kapelle St. Wendelins ins aargauische Sarmenstorf.
Mit Messe und Predigt feiern die Lieler ihren Dorfheiligen. Dort trägt auch die einzige Wirtschaft den Namen St. Wendelin, und seit diesem Sommer ziert ein schmiedeiserner Wendel das Wirtshaus. Das Tischgebet ist auch in der bäuerlichen Stube kürzer geworden. Mit Vertrauen wird da und dort nach dem Englischen Gruss noch gebetet: «Heilige Sant Wendel, b’hüet‘ is Hus und Hof!»
Eine Idee wird Wirklichkeit
Die 2. Realklasse von Hochdorf und ihr Lehrer Albert von Wartburg kamen auf die Idee, im Zeichenunterricht Bilder des Bauernheiligen auf Holz zu malen, die dann über den Stalltüren befestigt werden könnten. Die Schüler brachten von zu Hause die an ihren Scheunen hängenden Wendel mit. Man schaute diese genau an und sinnierte, wie man ans Werk gehen könnte. Die Schüler seien mit Begeisterung ans Werk gegangen, wurde uns berichtet.
Im Verlaufe des letzten Sommers sind nun eigentliche kleine Kunstwerke entstanden. Am Martinimäärt in Hochdorf können am Brattig-Stand vor der Buchdruckerei die auf Holz gemalten Bilder des Bauernheiligen nicht nur besichtigt und bestaunt, sondern sogar erworben werden. Der Erlös kommt vollumfänglich einem landwirtschaftlichen Entwicklungsprojekt der Schwestern von Baldegg zugut.
Können eine Bäuerin ihrem Gatten oder Bauernkinder ihrem Vater ein schöneres und sinnvollers Weihnachtsgeschenk machen? Wohl kaum! Den Schülern und ihrem Lehrer gratulieren wir zu ihrer kulturellen Leistung; den Käuferinnen und Käufer der Bilder
sagen wir herzlich «Vergelt’s Gott!»
*Willy Nick (1932-2021) war über Jahre gewissermassen der Brattig-Pfarrer. In Winikon geboren, empfing er 1960 die Priesterweihe. Danach wirkte er von 1960 bis 1964 im Kollegium in Schwyz, dann bis 1973 als Internatsleiter und Religionslehrer am Kantonalen Lehrerseminar in Hitzkirch und anschliessend als Pfarrer in Hohenrain. 1998 zog Willy Nick als Chorherr ans Stift St. Leodegar Luzern, von aus er weiterhin seelsorgerisch tätig war.
*Martin Bühlmann (geboren 1943) kam in Sempach auf die Welt und besuchte dort die Primarschule. Er sagt über sich: «Schwerenöter im Schreiben. Maximalnote 4. 1973 bis 2007 Logopäde in Hochdorf. Ist mit der Brattig seit 1980 auf dem Weg. Mitbegründer und selbsternannter Professor der Volksuniversität St.Peter und St.Paul Nunwil (kursiv) für Deutsche Kurrentschrift.»