Die Orgel war eines der Instrumente von Joseph Röösli (1935-2018). Brattig-Illustrator Ludwig Suter (1949-2022) hat ihr beim Porträts des Musikers eine Doppelseite gewidmet. | © 2013 Seetaler Brattig

*Mirjam Weiss-Gast, Schopfheim (vormals Hitzkirch)

Schläft ein Lied in allen Dingen, die da träumen fort und fort, und die Welt hebt an zu singen, triffst du nur das Zauberwort.» (Joseph Freiherr von Eichendorff 1788-1857)

Vielleicht nicht die Welt, aber sicher das Seetal und einen grossen Teil der Deutschschweiz hat Joseph Röösli zum Singen gebracht. Der Hitzkircher Musiker und ehemalige Musiklehrer des Lehrerinnen- und Lehrerseminars Hitzkirch hat in den 1970er- und 1980er-Jahren den Musikunterricht in der Schweiz entscheidend mitgeprägt.

Heimlich in der Kirche georgelt

Joseph Röösli ist mit Musik gross geworden. «Ich komme aus einer Familie, die Musik gelebt hat», erzählt der gebürtige Schüpfheimer. Seine Mutter habe immer beim Arbeiten gesungen, und oft habe die neunköpfige Familie gemeinsam gejodelt und musiziert. Musikschulen kannte man damals noch kaum. Doch Joseph durfte ab der dritten Primarklasse privat Klavierunterricht nehmen. Hie und da orgelte er zudem heimlich in der Schüpfheimer Pfarrkirche. «Mein Vater war der Sigrist, und wir Kinder mussten ihm jeweils helfen, die Kirche zu fegen, mit nassem Sägemehl, damit es nicht so staubte.» Während seine Geschwister putzten, unterhielt sie Joseph mit Improvisationen auf der Orgel. «Mein jüngerer Bruder musste vor der Tür Wache halten für den Fall, dass der Pfarrer oder der Organist kämen», erinnert sich der 77-Jährige schmunzelnd und wirkt für einen Moment wieder wie ein verschmitzter Schuljunge.

Nach der Sekundarschule und einem Zwischenjahr in Neuenburg machte Joseph Röösli am (damals noch rein männlichen) Lehrerseminat in Hitzkirch die Ausbildung zum Primarlehrer. Am Ende der fünfjährigen Ausbildung trat er eine Stelle in Hohenrain an, wo er eine 1. bis 3 Klasse unterrichtete — 64 Schüler in einem Schulzimmer. «Einer meiner Schüler, der ehemalige Nationalrat Josef Leu, hat mir im Nachhinein einmal gesagt, diese drei Jahre seien dies schönsten Jahre seiner Schulzeit gewesen, weil wir so viel gesungen hätten», erzählt Joseph Röösli, und man merkt ihm die Freude darüber sichtlich an.

Obwohl der Junglehrer neben dem Unterrichten noch Organist und Kirchenchorleiter in Hohenrain war, bekam er nicht genug von der Musik. Er begann, nebenbei an der Schweizerischen Katholischen Kirchenmusikschule Luzern und an den Konservatorien Konservatorien Luzern, Zürich und Winterthur Musik zu studieren, unter anderem bei Johann Baptist Hilber und Willi Gohl. 1962, nachdem er zwei Jahre in Dagmersellen als Primarlehrer und Kirchenmusiker tätig gewesen war, wurde er als Musiklehrer ans Seminar Hitzkirch gewählt.

Damit verbunden waren die Leitung des Seminarchors und des Hitzkircher Kirchenchors. Mit den beiden Chören brachte Joseph Röösli Werke wie «Carmina Burana» von Carl Orff oder «Die Schöpfung» von Joseph Haydn zur Aufführung. Ein Auftritt ist ihm dabei in besonderer Erinnerung geblieben: «Bei der Aufführung von Bachs Weihnachtsoratorium in der Jesuitenkirche in Luzern fehlten kurz vor Konzertbeginn plötzlich zwei Solisten», erzählt er. Die Kirche war bis auf den letzten Platz belegt und Joseph Röösli ziemlich ratlos. Da hatte sein Lehrerkollege Hans Zihlmann die Idee, die Texte der Solisten-Passagen einfach vorzulesen. So weit kam es dann aber doch nicht – denn just als die letzten Töne des Eingangschors verklungen waren, traten die beiden vermissten Solisten auf die Bühne. Sie waren auf der Fahrt von Zürich nach Luzern im Verkehr stecken geblieben und hatten noch dazu eine Autopanne gehabt.

Hitzkirch zum Musikzentrum gemacht

Das Singen lag Joseph Röösli schon immer besonders am Herzen. Doch Musikunterricht sollte seiner Meinung nach nicht einfach nur aus Singen bestehen. «Auf einer Studienreise nach Ungarn hatten wir gesehen, dass die Schüler dort alle ein kleines Büchlein für den Musikunterricht hatten, in dem der Stoff eines Schuljahres in den verschiedenen Bereichen der Musik dargestellt wurde. Bei uns dagegen gab es bis dahin noch kein methodisch-didaktisches Lehrmittel für den Musikunterricht an den Volksschulen», erklärt er. Kurz nachdem er als Musiklehrer am Seminar gewählt worden war, führte er daher das neue Fach «Methodik des Singunterrichts» ein. In den folgenden Jahren publizierte er mit zwei Lehrerkollegen zahlreiche Lehrmittel für den Musikunterricht, die bald überall in der Deutschschweiz angewendet wurden, und gab sein Wissen auch in Kursen in der ganzen Schweiz an andere Lehrer weiter. Besondere Bedeutung hatte dabei das «Forum für Musik und Bewegung Lenk», das Joseph Röösli während mehrerer Jahre leitete.

Bei einem Musikkurs lernte er dann seine spätere Frau kennen. Irma Röösli hatte das Lehrerinnenseminar in Baldegg besucht, spielte Geige und Querflöte und unterrichtete in Meierskappel und später auch in Ebikon als Primarlehrerin. «Die Begeisterung für die Musik hat uns gleich bei der ersten Begegnung verbunden», erinnert sich Irma Röösli. Auch als nacheinander die vier Kinder kamen, hörte sie nie auf, selber Musik zu machen, denn ein Leben ohne Musik könnte sie sich ebenso wenig vorstellen wie ihr Mann. «Musik bedeutet für mich Lebensfreude», sagt sie.

Das Familienleben der Rööslis wurde denn auch stark von dieser gemeinsamen Leidenschaft geprägt. «Die ersten Jahre mit unseren Kindern waren gleichzeitig auch meine arbeitsintensivsten Jahre, und so wurde es manchmal zeitlich sehr eng mit Beruf und Familie», sagt Joseph Röösli und blickt aus dem Fenster auf das nur wenige Meter unterhalb gelegene ehemalige Lehrerinnen- und Lehrerseminar Hitzkirch, wo er 36 Jahre unterrichtet hat. Nebenher baute er in den 1970er-Jahren die Schulmusikausbildung an der damaligen «Akademie für Schul- und Kirchenmusik» (heutige Musikhochschule Luzern) mit auf, wo er über dreissig Jahre als Dozent tätig war, gründete die Musikschule Hitzkirch (1970), den Hitzkircher Jugendchor und den «Hitzkircher Konzert-Zyklus» (1972) — eine Rarität auf der Luzerner Landschaft. « Hitzkirch war damals ein richtiges Musikzentrum», stellt er fest, und leiser Stolz schwingt in seiner Stimme mit.

Worte klingen lassen

Als Anerkennung für sein vielseitiges musikalisches Schaffen wurde Joseph Röösli 1995 mit dem Kulturpreis der Innerschweiz ausgezeichnet. Auf seinen Lorbeeren ausruhen will sich der heute 77-Jährige aber noch lange nicht. So ist er in der Pfarrei Hitzkirch immer wieder als Organist tätig und hat unter anderem die «Disentiser Klosterwoche» mit ins Leben gerufen, wo jedes Jahr Gleichgesinnte zusammenkommen, um gemeinsam zu wandern, zu tanzen und ein Werk einzuüben, das Joseph Röösli jeweils eigens dafür schreibt.

Seit seiner Pensionierung komponiert er vermehrt kirchliche und weltliche Stücke, wobei er sich von Musik aus aller Welt inspirieren lässt. So sind unter anderem die «Missa Mundi», das «Hohelied der Liebe» und verschiedene Kantaten entstanden. «Auf Reisen nach Südamerika, Indien, Indonesien und Afrika, die Irma und ich unternommen haben, war es mir immer wichtig, die Musik und Kultur fremder Völker kennenzulernen, um sie nachher meinen Studentinnen und Studenten zu vermitteln», erzählt Joseph Röösli.

«Joseph ist sehr reisefreudig und unternehmungslustig, äusserst menschenfreundlich und immer positiv eingestellt», sagt seine Frau Irma. «Er hat aber auch eine stille Seite, die er beim Malen oder Lesen auslebt.» Besonders gern liest er Gedichte, etwa von Rose Ausländer, von Erich Fried oder Erika Burkart, die er dann vertont und so die Worte zum Klingen bringt.

«Ein kleines Lied, wie geht’s nur an, dass man so lieb es haben kann, was liegt darin? Erzähle! Es liegt darin ein wenig Klang, ein wenig Wohllaut und Gesang und eine ganze Seele.» (Marie von Ebner-Eschenbach 1830-1916)

Am eidgenössischen Dank-, Bus- und Bettag (16. September 2013) wurde Joseph Röösli zu seinem 50-Jahr-Jubiläum als Kirchenmusiker in Hitzkirch mit einem päpstlichen Orden ausgezeichnet.

*Mirjam Weiss-Gast (geboren 1985) ist in Hitzkirch aufgewachsen. Sie hat in Lausanne Geschichte, Germanistik und Französisch studiert; Abschluss als Master of Arts. Neben und nach dem Studium von 2004 bis 2014 freie Mitarbeiterin der «Neuen Luzerner Zeitung». Sie ist verheiratet, hat zwei Töchter und lebt mit ihrer Familie in Schopfheim (D), nicht weit von Basel.

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