Der Radrennfahrer Leo Amberg auf einem Bild aus der Sammlung von Autor Walter Bühlmann.

*Walter Bühlmann, Ballwil

Würde man heute eine Umfrage zum Thema «Berühmte Ballwiler» starten, der Name «Amberg» würde wohl kaum erwähnt. Es steht ja auch kein Denkmal von ihm im Dorf. Seine Erfolge sind den jungen Einheimischen nicht mehr präsent. Werden dagegen ältere Leute auf Leo Amberg angesprochen, kommen sie über das Sportidol ihrer Jugendzeit ins Schwärmen. Ich persönlich habe noch eine — inzwischen verheizte — alte Kirchenbank in Erinnerung: Mit einem hier eingeritzten «AMBERG» wollte ihn wohl ein Fan für immer verewigen.

Leo Amberg wurde am 23. März 1912 in Mühlhausen im Elsass geboren. Infolge der Kriegswirren des Ersten Weltkriegs musste die Familie mit drei kleinen Kindern wieder in die Schweiz übersiedeln. Als Bürger von Buchs (LU) nahm sie zuerst in Knutwil Wohnsitz. Danach wurde der «Brand», zwei Kilometer östlich von Ballwil, ihre neue Bleibe. Jahre später zog die inzwischen auf sechs Kinder angewachsene Familie in den Ambar ins Dorf. Die gestrengen Lehrer der Primarschule, Hecht und Fellmann, und die Sekundarschule Eschenbach prägten Leo Amberg nachhaltig.

Kein Geld für das Studium

Leos Berufswunsch, Tierarzt zu werden, kam aus finanziellen Gründen nicht in Frage. Der Vater war Erdarbeiter (er verlegte Drainagen) und Handlanger, beides keine einträglichen Jobs, um eine so grosse Familie zu ernähren. So entschloss sich Leo für eine damals dreijährige Lehre als Elektromonteur bei Robert Schriber in Hochdorf. Er beendigte sie mit der Ehrenmeldung. Der tägliche Arbeitsweg über mehrere Kilometer nach Hochdorf mit dem Fahrrad förderte seine Kondition. So erstaunt es nicht, dass er dem Radsportverein Eschenbach als Aktivmitglied beitrat. Dadurch war es auch logisch, dass er bei der Aushebung für die Rekrutenschule den Radfahrern zugeteilt wurde.

1934 bestritt Amberg — als 22-Jähriger relativ spät — sein erstes Radrennen: Die Zentralmeisterschaft der Amateure in Muri wurde für ihn zum grossen Triumph. Trotz gebrochener Gabelscheide deklassierte er über 400 Gegner und fuhr als Erster durchs Ziel. Nach zwei weiteren Siegen löste er 1935 die Profi-Lizenz und übersiedelte nach Nizza.

Nun begann sein kometenhafter Aufstiegs. Im ersten Profirennen Nizza-St. Tropez-San Remo wurde er Gesamterster. Beim härtesten Bergrennen auf den Mont Faron deklassierte er sämtliche Spezialisten. Sein Name Leo (Löwe) Amberg (am Berg) war auf dem besten Weg, den weltbesten Fahrern das Fürchten beizubringen. Im dritten Jahr der Durchführung der Tour de Suisse, 1935, belegte er den zweiten Gesamtrang. Der «Seetaler Bote» vom 22. November 1935 berichtet: «Die Begeisterung für Leo Amberg wächst im Seetal. Mit seinem Charme und den Leistungen hat er die Herzen der Seetaler im Sturm erobert.» Die Gründung des Veloclubs Hochdorf am 29. Oktober 1936 stand sicher im Zusammenhang mit Ambergs Erfolgen.

In den Jahren 1936 bis 1939 trumpfte Amberg weiter als Sieger oder Spitzenfahrer auf, so unter anderem zweimal am Giro d’Italia, viermal an der Tour de France, sechsmal an der Tour de Suisse, an der Radweltmeisterschaft und anderen Strassenmeisterschaften. Die Belohnung für die sportlichen Erfolge waren im Vergleich zu heute bescheiden: Meist wurden Auszeichnungen abgegeben, nie aber Geld.

Eigene Velofabrik

Leo Amberg war sehr stolz, dass seine Radsportgruppe mit seiner Velomarke «Kristall» von Heliomalt Hochdorf gesponsert wurde. Amberg hatte die Velofabrik 1937 in Degersheim gegründet und fabrizierte dort die Marken «Kristall» und «Amberg». 1941 eröffnete er zudem ein Geschäft für Fahrräder und Lambrettas in Zürich. Der Zweite Weltkrieg bremste allerdings Leo Ambergs Erfolgsserie; 1947 beendete er seine Profikarriere.

In den 50er-Jahren verkaufte Amberg seine beiden Firmen. Fortan bestritt er seinen Lebensunterhalt mit dem Autohandel. Später erwarb sich Leo das Wirtepatent. Als Pächter der Sportbar an der Zähringerstrasse in Zürich lernte er seine Frau Maria kennen. Miteinander wirteten sie einige Jahre. Nebenbei bildete sich Amberg an der Kunstgewerbeschule weiter, malte und lernte Fremdsprachen. Mit 70 Jahren arbeitete er noch voll als Cliché-Zeichner in einer Wellkartonfabrik. Ein Herzinfarkt zwang ihn dann aber zwei Jahre später zur Pensionierung.

1990 zog das Ehepaar Amberg von Schlieren nach Oberriet im Rheintal. Zusammen konnten sie auf den vielen Radwegen der Gegend ihre Touren geniessen. Diese wurden leider durch einen folgenschweren Unfall mit einem landwirtschaftlichen Fahrzeug abrupt beendet. Amberg erlitt unheilbare körperliche und geistige Schäden. Seine Frau starb bald darauf.

Das Pflegeheim Altstätten wurde zur letzten Station im bewegten Leben von Leo Amberg. Er starb hier am 17. August 1999; seine Urne wurde im Grab seiner Frau in Bremgarten AG beigesetzt.

Leo Amberg hätte vor Kurzem seinen 100. Geburtstag feiern können. Zusammen mit Hugo Koblet, Paul Egli und Ferdy Kübler gehörte er zu den ganz Grossen der früheren Schweizer Radsportszene.

*Walter Bühlmann (geboren 1942) ist in Ballwil aufgewachsen, wo er bis heute mit seiner Familie lebt. Der gelernte Landwirt hat bis zu seiner Pensionierung mit seinem Bruder den Hof Hübeli in Gibelflühl bewirtschaftet, auf dem er immer noch lebt. Natur und Geschichte sind sein Hobby, ausserdem singt er im Kirchenchor mit.

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