Emmentaler aus dem Seetal: Im Brattig-Jahr 1986 gab es im Seetal noch 20 Käsereien, welche diese Sorte herstellten. | Bild: lipefontes0 auf Pixabay

*Martin Bühlmann, Hochdorf

Tag für Tag kommen Milch und Milchprodukte auf unsern Tisch. Mancher Gang und mancher Tramp muss gemacht werden, bis es soweit ist. Vielgestaltig sind die Kanäle und Wege von der Kuh bis zu unserem Munde. Wir hoffen, dass der nächste Schluck Milch, das nächste Mödeli Anken nach der Lektüre dieser Seetaler-Milchgeographie noch besser mundet.

Erst mit dem technischen Zeitalter konnte die Milchproduktion so gesteigert werden, dass der tägliche Genuss für jedermann erschwinglich wurde. In der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts entstanden überall Käsereigenossenschaften, die heute noch bestehen. Kleine Käsereien wurden stillgelegt. Dank der Möglichkeit, für die Käseherstellung Öl und elektrischen Strom als Heizmittel einzusetzen, fiel die umständliche Holz- und Kohlenfeuerung weg; es konnten grössere Mengen Milch verwertet werden. Zudem entstanden grosse Betriebe, die die Milch aufkauften und ihrem Fabrikationsbetrieb zuführten. Wo gekäst wird, wählen die Genossenschafter ihren Käser. Die Genossenschaft ist meistens auch Besitzerin des Käsereigebäudes. Oft nimmt sie auch noch andere Interessen wahr; vielerorts schafft sie Maschinen für den gemeinsamen Gebrauch an, so z.B. Klauenstand, Strohmühle, fahrbare Mosti, Mistzettler usw.

Bei unserem Milch-Ausflug können wir nicht achtlos an den vielen Käsereien vorbeifahren. An milchstrategisch günstig gelegenen Flecken wurden sie gebaut, mitten im Dorf etwa oder an einer Strassenkreuzung, grosszügig und für Pferde- und Hundefahrzeuge leicht zugänglich. Im Verlaufe der Jahre sind einige zu Verkehrshindernissen geworden, sie halten manchen Zeitgenossen auf.

Breit und bodenständig wie die Käserei steht auch der Käser da. Er ist von der Käsereigenossenschaft angestellt oder Milchkäufer. Vereinzelt rechnet er noch direkt und gegen bar mit den Milchlieferanten ab. In der Dorfwirtschaft zählt der Käser dem Bauern das Milchgeld auf den Tisch. Die Milchzahlung ist ein willkommener Anlass, um sich unter seinesgleichen wieder einmal zu treffen. Da werden kleine Händel begraben, vielleicht auch einmal ein neuer begonnen, um einen Knecht gefeilscht oder eine Fährlimohr verkauft. Und der Nicht-Landwirt, der ahnungslos in diese reiche Gesellschaft gerät, fragt sich, wieviele Franken der und jener beim Käser abholen kann. Mit verhohlenem Neid trinkt er sein Kafi, bekommt von einem mitleidigen Bauern ein weiteres gespendet. Spätestens beim Jass ist er aber so gut aufgehoben, dass er bald selbst meint, daheim auch einen Stall voller Kühe mit strotzenden Eutern zu haben.

Im Seetal gelangt nicht alle Milch in die Käsereien. Aus der Milchkarte zu diesem Beitrag ersieht man, dass die beiden grossen Betriebe, Schweizerische Milchgesellschaft Hochdorf (SMG), die «Südi», und der Zentralschweizerische Milchverband mit der Emmi vielen Genossenschaften die Milch abnehmen. In Hochdorf entstehen vor allem Milchpulver, Kindernahrung, Kondensmilch, Fette, Produkte für Bäckereien; in der Emmi in Emmen dagegen Joghurts, Quark, Weichkäse usw.

Damit wirklich nur einwandfreie Milch verarbeitet wird, sind gutes Futter, Gesundheit von Tier und Mensch, Können und Sauberkeit unerlässlich. Milchproduzenten, -käufer und der Staat haben dafür eigene Prüfstellen eingerichtet. Stall- und Käsereiinspektoren walten ihres Amtes. Der Aufgabenbereich ist ganz genau umschrieben. In Zusammenarbeit mit dem Milchwirtschaftlichen Kontroll- und Beratungsdienst der Zentralschweiz sorgen sie ständig für Qualitätsware.

Die Seetaler Käsekarte, Stand 1986: gezeichnet vom damaligen Brattig-Illustrator Paul «Nussbi» Nussbaumer. | © 1986 Seetaler Brattig

Ein eigenartiges und den meisten Brattiglesern wohl unbekanntes Milchprodukt wird in der Käserei Oeggenringen-Reckenbrunnen in der Gemeinde Eschenbach hergestellt: Kasein. Nach der Entrahmung wird die Magermilch in einem tägigen Prozess eingedickt, dann auf 41 Grad erwärmt. Die gewonnene Käsemasse wird dreimal gewaschen und danach gepresst. Im Kaseinverwertungsbetrieb Künzli in Emmenbrücke wird die stark eiweisshaltige Masse zerbröckelt, getrocknet und gemahlen. Alsdann verwendet man das Kasein in den verschiedensten Produktionszweigen ein: es kann zur Suppenherstellung dienen, wird in der Papierherstellung, in Leimfabriken, in der chemischen und pharmazeutischen Industrie benötigt.

Wer sich in unserem Land mit der Milch beschäftigt, der muss drauskommen. Die berufliche Laufbahn des Käsers beginnt mit der dreijährigen Lehre. Danach sammelt er vier Jahre lang Erfahrung in verschiedenen Betrieben. Die Meisterprüfung kann er aber erst ablegen, nachdem er zusätzlich während eines Jahres eine der modernen Molkereischulen besucht hat. Der Paragraphenwald um die Milch ist so gewaltig geworden, dass sie den einfachen Käseesser und Milchtrinker bald zu einem «Ochsen am Berg» werden lassen: Gesetze, Verordnungen, Vorschriften, Import- und Exportbestimmungen, produktionssteuernde Massnahmen usw. lassen einem vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr sehen.

Nicht immer war es selbstverständlich, dass Milch und Käse auf unsern Tisch kamen. In der «Käserei in der Vehfreude» von Jeremias Gotthelf oder in Meinrad Inglins «Der schwarze Tanner» erfahren wir von schweren Zeiten. Mit der Geschichte von den drei Käse essenden Töchtern möchte ich dem Leser einen guten Appetit bei der nächsten Käseplatte wünschen und hoffen, dass er dabei auch an die vielen Tiere und Menschen denkt, die ihm diesen nahrhaften Genuss ermöglichen:

Ein Mann kannte drei Töchter im heiratsfähigen Alter, eine schöner als die andere. Er konnte sich einfach nicht entscheiden, welche er erwählen sollte. Da fragte er seinen Vater; der hatte schliesslich mit der Brautsuche Erfahrung und war auch tatsächlich nicht um Rat verlegen. Er solle die drei Holden zum Käseessen einladen, sprach der Vater, er werde dann bald sehen, welche am besten zu ihm passe. Gesagt, getan. Die erste frass den Käse mit samt der Schwarte auf, die zweite hieb mit dem Messer einen unflätig dicken Rand weg. Die dritte nahm ihr Stück in die linke Hand, setzte das Messer mit der rechten behutsam an und schabte die Rinde vorsichtig weg. Diese dritte Tochter nahm er sich zur Frau. Zusammen führten sie ein sparsames, glückliches Leben.

*Martin Bühlmann kam 1943 in Sempach auf die Welt und besuchte dort die Primarschule. Schwerenöter im Schreiben. Maximalnote 4. 1973 bis 2007 Logopäde in Hochdorf. Ist mit der Brattig seit 1980 auf dem Weg. Mitbegründer und selbsternannter Professor der Volksuniversität St.Peter und St.Paul Nunwil (kursiv) für Deutsche Kurrentschrift.

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