Grossmutters Hausmittelchen helfen bei vielerlei Krankheiten und Gsüchti: der Beitrag in der «Brattig» 1980, illustriert von Paul «Nussbi» Nussbaumer. | © 1980 Seetaler Brattig

Autor/Autorin unbekannt

Ich kann mich noch gut erinnern, im kleinen Kämmerlein hinter der Küche befand sich Grossmutters «Apotheke». Wohlverwahrt im abgeschlossenen Gänterli standen grosse und kleine Töpfe, Fläschchen und leinene Säckchen. Es waren da bewährte Hausmittel, aus Garten, Feld und Wald zusammengetragen, auf die die Grossmutter stolz war. Das war ihr Reich; sie verstand auch etwas vom Gsundleben und Gsundwerden. Grossmutter war beileibe keine Gesundheitsfanatikerin, und den Griff ins Gänterli tat sie eigentlich selten, denn ihre Familie war nicht verweichlicht. Strenge regelmässige Arbeit, eine vernünftige Lebensweise und einfache Kost waren die Grundlagen des Gsundbleibens. Dass in gewissen Fällen der Gang zur Apotheke nach Hochdorf oder sogar zum Arzt notwendig wurde, war auch der Grossmutter klar. Aber wenn einmal der Darm rebellierte, Husten und Schnupfen sich breitmachten oder der Grossvater vom Gsüchti befallen wurde, behalf sich die Grossmutter mit ihren Mitteln aus dem ominösen Gänterli.

Wir Grosskinder hatten uns einmal im Schnee so stark ereifert, dass wir ins Schwitzen kamen, Schärpen und Fausthandschuhe weglegten, um einander besser in den Schnee drücken zu können. Ich weiss noch, wie kalt sich auf einmal meine Handrücken fühlten, wie sie rot anliefen und wie ein Beissen und Jucken darüber hin- und wegfegte, als ich wieder in der warmen Stube stand. «Du armer, dummer Bub!» meinte die Grossmutter, holte in der Küche eine Zwiebel, träufelte deren Saft auf die Handrücken und fuhr dann sachte mit einem weichen Tüchlein darüber. Und dann holte sie aus dem Kämmerchen einen halbliterigen Topf mit Schweineschmalz. Bei der letzten Metzgete im November hatte die Grossmutter zerstampfte, gedörrte Kräutchen in den heissen Schmalz gemischt und das ganze in den Topf gegossen. Was für ein Kräutlein das war, weiss ich heute nicht mehr. Auf alle Fälle, es tat gut und Gfrörni bekam ich keine.

Mit der Chaise zum Zahnarzt

Es wäre falsch zu glauben, dass es früher wegen der gesunden Kost keine kranken Zähne gegeben hätte. Marili, eine meiner älteren Schwestern, hatte auch einmal so einen Bösewicht in ihrem Mund. Das erste Mittel, das ihr die Grossmutter verordnete, war Wärme. Sie band Marili eine wollene Schärpe um den Kopf, zwei-, dreimal ringsum, und knotete sie unter dem Kinn fest. Als das nichts half, legte sie unter die Schärpe einen heissen Kamillenumschlag, genau auf die schmerzende Stelle. Das Übel wollte nicht heilen. Da schickte mich die Grossmutter auf das untere Scheunendächlein, auf dem eine Hauswurz wuchs. Dort sollte ich etwa vier der prallen Blätter pflücken. Die Grossmutter wusch sie sauber ab und dann musste Marili mit dem schmerzenden Zahn ein solches Blatt kauen. Der Saft kann vermutlich schmerzlindern auf das Zahnfleisch wirken, doch dem bösen Zahn mit dem grossen Loch konnte er nichts antun. So musste denn am andern Tag, nach dem Znüni, der Götti den Fuchs an die Chaise spannen, und Marili setzte sich zuhinterst unter das mächtige Verdeck, fort ging’s nun zum Herrn Doktor nach Hochdorf. Am Abend plagierte Marili, dass ihm der Doktor den Zahn mit einer mächtig grossen Zange ausgerissen und es dabei keine einzige Träne geweint habe. Dabei blinzelte mir der Götti verschmitzt zu, was mir genug sagte.

Auch warmes Bier hilft
Auch Fieber gab’s etwa in Grossmutters Haus. Darüber wurde sie aber nicht nervös: «Das gehört dazu, das gibt Abwehrkräfte!» Erst wenn sich die Stirn allzu heiss rötete, wenn der Puls anfing, schnell und immer schneller zu schlagen, griff die Grossmutter zu ihren Hausmitteln. Zuerst probierte sie es mit Lindenblütentee. Ich sah ihr einmal zu, wie sie dem Götti ganz heissen Tee zu trinken gab, viel mehr als er eigentlich wollte. Dann deckte sie ihn zu, dass nur noch seine schwarz-grauen Locken, auf die er sich etwas einbildete, unter den rot-weiss karierten Decken und Kissen hervorguckten. Jetzt machte der Götti eine richtige Schwitzkur. Bier gab’s eigentlich nie in Grossmutters Haus. Heute aber musste ich in den nahen «Sternen», um eine Flasche Hofderer Bier zu holen. Die Grossmutter füllte ein hohes Glas, rührte ein Eiweiss und einen grossen Löffel Zucker hinein. Dann ging sie wieder ins Stübli, weckte den Götti, schickte mich weg, wusch und rieb den armen, schweissgebadeten Götti trocken, und das alles in äusserster Eile. Der Götti durfte sich ja nicht erkälten. Jetzt spedierte sie ihn in ihr eigenes Bett, das sie vorher mit heissen Kirschensteinsäcklein angewärmt hatte. Die Grossmutter kam wieder in die Küche zurück und holte das Bier. Noch heute sehe ich die spitzbübischen, fiebrigen Äuglein des Grossvaters. Er griff zum Bier, leerte es hinunter, dankte der Grossmutter, fiel ins Kissen zurück und schlummerte bald der Gesundheit entgegen.

Während die Grossmutter die schweissgetränkte Bettwäsche wusch, sagte sie mir, es hätte da Bazillen drin. So sehr ich auch versuchte, solche zu finden – ich wagte nichts zu berühren – ich konnte keine entdecken. Die «Bazillen» beschäftigten mich noch lange. Auch die Grossmutter konnte mir nicht mehr darüber sagen, vermutlich ahtte sie das Wort irgendwie gelesen – vielleicht sogar in einer alten Brattig.

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