Der Posthalter unterwegs mit den Skiern: So sah Zeichner Ludwig Suter den Vater von Alois Wolf unterwegs. | © 1995 Seetaler Brattig

*Alois Wolf, Herlisberg

Wie man mir auf meinen unzähligen Posttouren berichtet hat und wie es im Archivblatt der PTT-Direktion in Luzern gedruckt nachzulesen ist, sind die Postsachen für die Gemeinde Herlisberg seit 1867 von einem Johann aus dem am Abhang der Erlose stark verbreiteten Geschlechte Lang ausgetragen worden. Dieser Johann Lang hatte nur einen Arm und zur Mitnahme des Postgutes bediente er sich eines mit Eisenrädern versehenen Zweiräderwagens. Wenn man sich die damaligen Naturstrassen vorstellt und weiss, dass sie, wie andernorts, meistens auf dem kürzesten Wege angelegt wurden, kann man sich denken, welche Muskelkraft der gute Johann Lang mit einem einzigen Arm einzusetzen hatte. 1867 bezog er ein Jahresgehalt von 860 Franken. Dann kamen scheinbar schlechtere Zeiten, denn sechs Jahre später betrug sein Jahreslohn bloss noch 460 Franken.

Die Gemeinden Retschwil und Herlisberg wurden vom Postamt Hitzkirch aus bedient. Hitzkirch hatte den Rang eines Postamtes, während Hochdorf bloss ein Postbüro war. Retschwil erhielt schon 1867 eine nicht rechnungspflichtige Postablage (130 Jahre später will man die Post Retschwil wieder schliessen!).

Anfangs dieses Jahrhunderts hatte eine Familie Meier in Herlisberg einen Bauernbetrieb, eine Wagnerei und eine Schmiedewerkstatt. Als man 1906 hier oben eine nicht rechnungspflichtige Postablage einrichtete, wurde sie eben dieser Familie Meier anvertraut. Aus dieser Zeit ist nicht viel bekannt. Vermutlich holte Posthalter Meier seine Zeitungen, Briefe und Pakete jeden Tag in Beromünster ab. Da er Bauer war und Pferde besass, wird, er dies mit dem Fuhrwerk erledigt haben. Meier starb 1936.

Mit Velo und Töff unterwegs

Und dann kamen die Wolfs! Mein Vater Hermann Wolf wurde auf den 1. September 1936 nach Herlisberg gewählt. Damals wurde die Post als «nicht rechnungspflichtige Agentur» geführt. Zwei Jahre später wurde die Post Herlisberg zum «rechnungspflichtigen Büro» erhoben. Meine Mutter Josephine kannte sich im Postwesen bestens aus, denn sie hatte in jungen Jahren eine Postlehre im neuenburgischen Le Landeron absolviert. Der Vater musste die Postsachen in Beromünster abholen und hat dann jeweils auf dem Rückweg etliche Liegenschaften auf der andern Seite der Erlosen mit der Post bedient. Er war sich an die schweren Postsäcke gewöhnt, war er doch vorher zwölf Jahre lang Privatbriefträger und Bote in Römerswil. Anfänglich holte er die Römerswiler Post mit dem Velo in Hildisrieden, später mit dem Töff Die damaligen Naturstrassen waren nicht für das Töfffahren geschaffen. Nur allzuoft rutschte das schwer beladene Motorrad unter ihm weg. Der Vater fuhr jedoch sehr vorsichtig und mit kleinen Geschwindigkeiten. Mehr als Kratzer hat es bei seinen Stürzen nie abgesetzt.

1937 beschloss die Auto AG Rothenburg, ihren Betrieb auf die Strecke Sandblatten-Rain Römerswil -Herlisberg – Beromünster zu erweitern. Damit wurde meinem Vater ein grosses Stück Arbeit abgenommen, aber auch seine Lohntüte wurde schlagartig merklich dünner.

Zwei Jahre später brach der Weltkrieg aus. Der Treibstoff wurde rar, und die Auto AG musste ihren Betrieb über die Erlosen wieder einstellen. Für meinen Vater begann eine harte Zeit. Die Post hatte er wieder in Beromünster abzuholen, und zwar wieder mit dem Velo. Das ging soweit gut, solange Pneus und Schläuche aus der Vorkriegszeit erhältlich waren. Der Vater bestellte aus der halben Schweiz Pneus, meistens synthetische, alle mit dem Versprechen, sie seien qualitativ gut. Aber viele dieser teuren Pneus hielten die Last auf dem Gepäckträger und die Naturstrassen nur wenige Tage aus. Schon wieder musste er nach neuer Bereifung Ausschau halten.

Wie mir der Vater später einmal sagte, erhielt er für all die Unbill und die Mehrarbeit keine Entschädigung. Die Postdirektion stellte sich auf den Standpunkt, es herrsche Krieg und alle müssten Opfer bringen. Sieben Kinder sassen um den Mittagstisch, sie hatten Hunger und wollten auch warm angezogen sein. Das war hart für unsern Vater.

Damals kannten wir noch die Winter mit dem vielen Schnee. Bauern aus der Nachbarschaft stellten in solchen Zeiten dem Vater Schlitten und Pferd zur Verfügung. Das war dann schon sehr bequem, und der Vater konnte erst noch auf dem Schlitten mitfahren. Ich erinnere mich noch gut an die sonntäglichen Schlittenfahrten oder an das Mitfahren auf Vaters Postschlitten.

Schöne Monate in der Westschweiz

Nach Kriegsende wurden dann die Autokurse wieder aufgenommen, ebenso die Zustellung der Post bis vor die Haustüre. Ab dem 1. September 1945 besorgte ich den Zustell- und Botendienst für sechs Monate in Römerswil. Ich musste die Römerswiler Post in Hildisrieden abholen mit Velo und Anhänger — alles mit Vollgummibereifung. Das war eine harte Sache auf der Naturstrasse. Als Zughilfe spannte ich auf der rechten Seite einen Hund vor. Das ging alles gut, bis der Winter so richtig kam. Eines Morgens rutschten Hund und Fahrer, Velo und Anhänger mehrere Meter weit über die vereiste Strasse. Ich sass längere Zeit am Boden; der Hund schweigend neben mir. Er kam besser weg als ich; mein Hinterteil tat schrecklich weh; ich konnte mich kaum mehr aufrappeln.

Nachdem ich im darauffolgenden Huustage eine Aushilfe als Briefträger in Urswil angenommen hatte und der Schnee zeitweise so hoch war, dass ich Velo und Postgut stemmen und tragen musste, entschloss ich mich, keine Zustelltour mit Velo mehr anzunehmen.

Ich meinte nie, dass ich für meinen angestrebten, künftigen Postdienst in Herlisberg einmal die französische Sprache beherrschen müsse. Trotzdem meldete ich mich 1946 für die ausgeschriebene Stelle eines «facteur privé» auf dem Col des Mosses. Rückblickend glaube ich, dass dies die schönste Zeit meines Lebens war. Volle fünf Monate fuhr ich die Posttour mit den Skiern von einem abgelegenen Gehöft zum andern.

Ende 1958 konnte ich dann die Posthalterstelle in Herlisberg übernehmen. Anfänglich machte ich die Zustellung in den damals noch schneereichen Wintern auf Skis, dann aber auch mit dem Pferd. Doch der Postsachen wurden immer mehr. So erstand ich mir dann ein Auto, einen VW-Käfer. Die Strassen auf der Erlosen glichen zu jener Zeit teilweise mehr einem Bachbett oder einer Löcherpiste als einer Fahrbahn. Da der Posthalterberuf in Herlisberg nicht ausreichte, eine Familie zu ernähren, musste ich andern Beschäftigungen nachgehen und ins Tal hinunterfahren. Das zwang mich während des Winters oft, die Schneeketten zwei- oder dreimal täglich auf-, dann wieder abzumontieren. Doch auch in Herlisberg brachen bessere Zeiten mit weniger steilen und ebeneren Strassen an, der Zustelldienst wurde bequemer und einfacher.

Alois Wolf (1929–2020) stammte aus einer Familie mit fünf Söhnen und zwei Töchtern und wuchs in Herlisberg auf, wo er 1958 als Nachfolger seines Vaters Posthalter wurde. Die kleine Gemeinde auf der Erlosen wurde auf 2005 mit der Nachbargemeinde Römerswil fusioniert.

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