Die Chöblete an der Hofderer Fasnacht; eine lärmende Kinderschar, im Hintergrund das Sprötzehüsli. | © Ludwig Suter, Brattig 2019

*Hildegard Halter-Thaler, Hochdorf

Ende der 50er-, anfangs der 60er-Jahre waren die Geschlechterrollen in unseren ländlichen Gegenden noch klar definiert. Die Mädchen lernten schon früh Socken zu stricken, Strümpfe zu stopfen und, etwas später, zu kochen. Die Knaben dagegen wurden in technischen Fächern, in Chemie und Physik unterrichtet. Schliesslich galt es, sie auf ihre vorgesehene Rolle als Grundpfeiler der Gesellschaft vorzubereiten.

Die verheiratete Frau arbeitete in Haus und Garten, betreute die Kinder und erzog sie zu rechtschaffenen Menschen. Aber auch die unverheiratete oder verwitwete Frau war vornehmlich in dienenden Berufen tätig und wurde entsprechend entlohnt.

In der Kirche beteten die Männer rechts, die Frauen links. Weibliche Wesen hatten keinen Zutritt zum Chorraum, ausser natürlich zum Putzen. Der Klerus wusste weder etwas von einer weiblichen Sicht auf die Bibel, noch wurde er mit Genderfragen konfrontiert.

Unterschwellig war wohl doch eine gewisse Unzufriedenheit an den zementierten Geschlechtervorga-ben auszumachen, sonst wäre die folgende Fasnachtsgeschichte nicht entstanden.

Ausschliesslich Bubensache

Wenn sich früh morgens, noch im Dunkel der Nacht, ein geheimnisvolles Dröhnen wie eine Lawine durch die Strassen unseres Dorfes ergoss, dann war es so weit. Die Fasnacht hatte begonnen. Mit-ten im Getöse aus einem riesigen Kübel so viel Lärm wie nur möglich herauszuholen, war, einem ungeschriebenen Gesetz folgend, ausschliesslich Bubensache. Als Belohnung für den Aufmarsch und beträchtliches Schwitzen oder Schneestampfen, je nach Witterung, winkten Tee und so viele Berliner, wie das Herz begehrte oder der Magen zu verkraften vermochte.

Mein Bruder schilderte mir jeweils in den buntesten Farben die prickelnde Stimmung im Lunapark, das nervöse Warten, bis Charly Kaeslins legendäre Taschenlampe grünes Licht gab, den aufregend strengen Marsch und schliesslich die ungeheuren Mengen von Berlinern, frisch aus der Backstube von Bäckermeister Wey.

Mir als Mädchen blieb von allem dem nichts, ausser einem kurzen Blick durchs Fenster. Ich wünschte mir aber jeweils nichts so sehr, wie mitten im lärmenden Tross den kakophonischen Trubel hautnah mitzuerleben und konnte nicht verstehen, dass das Chöble, einschliesslich der in Aussicht gestellten Berliner, absolute Bubensache war.

Die vermeintlichen Verbündeten

Eines schönen Tages in der Vorfasnachtszeit fasste ich den Entschluss, mit einer Mädchengruppe der alten, und wie mir schien überholten, Tradition den Kampf anzusagen. Bald hatte ich auch eine Verbündete gefunden, und zu zweit schickten wir uns an, Gleichgesinnte für unsere Idee anzuweben.
Die Gruppe war zusammengestellt, der Kübel bereit, der Wecker gestellt, nur noch ein paar Stunden trennten uns vom Schmutzigen Donnerstag. Dem emanzipatorischen Auftritt an der Chöblete stand nun nichts mehr im Weg.

Um den Aufmarsch wirkungsvoll zu gestalten und unserer geheimen Angst keinen Raum zu geben, wollten wir uns beim Bahnhof treffen. Aber oha! Von den gestern noch so mutigen Frauen war keine zu erblicken! Meine engste Verbündete und ich standen mutterseelenallein da. Was dabei heraus kam? Unser Mut schnurrte einem geplatzter Luftballon gleich in sich zusammen. Wir liessen Lunapark Lunapark und Berliner Berliner sein und hofften inbrünstig, dass uns niemand auf dem Nachhauseweg beobachtete.

Jahre später erachtete ich es als absolute Notwendigkeit, meinen Kindern, ob Mädchen oder Bub, die Erfahrung eines urtümlich archaischen Fasnachtsauftaktes mitzugeben. Mit Lärminstrumenten ausge-rüstet fanden wir uns im Lunapark ein. Aber, wo war das prickelnde Gefühl von damals? Dieses ner-vöse Warten? Der aufregende Marsch durchs Dorf? Da waren bloss ein paar gelangweilte Zünftler, die ihrer Pflicht nachkamen, ein paar «Chlöpfibuben» am Strassenrand…

Ob mir die phantastischen Schilderungen meines Bruders oder allzu verklärte Kindheitserinnerungen einen Streich gespielt hatten, oder ob die alte (Fasnachts-)Zeit doch um so Vieles besser war? Ich weiss es nicht. Ich weiss nur, dass mich seither keine Tagwache mehr aus dem Bett locken konnte, auch nicht mit Aussicht auf Berliner à discrétion.

Ja – und schliesslich hat die Frauenemanzipation in vielen Bereichen unserer Gesellschaft zum Glück auch ohne mein damaliges aktives Einschreiten, weitgehend Einzug gehalten.

*Hildegard Halter-Thaler (geboren 1945), Pflegefachfrau mit Zusatzausbildung Operationsschwester. Berufliche Tätigkeit im Bürgerspital Solothurn, Ginjenje (Angola, Afrika), Basel und Sursee. Nach Heirat mit Hans Halter ab 1978 erneut wohnhaft in Hochdorf, drei erwachsene Kinder, ein Enkel. Nach 20 Jahren Familienarbeit Wiedereinstieg in die Alterspflege (Sins Ättenbühl, Hochdorf Rosenhügel).

Facebook
WhatsApp
Email