Als die Bauern die Milch noch mit der Bränte, dem Milchkarren oder mit Ross und Wagen zur Chäsi brachten – gezeichnet von Ludwig Suter in der Brattig 2012. | © Seetaler Brattig 2012

*Dominik Thali, Hochdorf

Kein anderes Idyll als das Seetal meinte Gott der Herr, als er vor Zeiten seinem treuen Diener Mose versprach, er wolle sein Volk in jenes Land führen, in dem Milch und Honig flössen. Die Bienen sind hierzulande seit jeher emsig am Werk, und noch keine Kuh hat sich zweimal in den Melkstand bitten lassen.

Auswärtige Vögte und fleissige Beamte haben in jüngster Zeit freilich die bäuerliche Ruhe gestört. Der freie Markt, den Mose seinerzeit nicht bedacht hatte, lenkt den Milchfluss neuerdings in immer wieder andere Bahnen. Als die Brattig vor 25 Jahren auflistete, wo und wozu die Seetaler Milch verkäst wird, zeigte die Karte — nebst der Südi und Emmi — 24 Käsereien, in denen dannzumal gerade drei Sorten Käse fabriziert wurden: Emmentaler, Sbrinz und Greyerzer. Im Sommer 2002 titelte der «Seetaler Bote»: «Noch 14 Käsereien im Seetal». Geblieben sind 5: Eschenbach, Hämikon, Hildisrieden, Rain und Sagen. Und die Gebäude? In Oberschongau zum Beispiel ist die Chäsi zur Autowerkstatt geworden, in Aesch lagert eine Firma Schuhe ein, im Riedhof in Rothenburg geschäftet ein Reinigungsunternehmen, und im Fläcke, im früheren Laden, buhlt ein Solarium um Kundschaft.

Lieber Mozzarella statt Emmentaler

Gleichwohl: «Die Sortenvielfalt hat zugenommen», stellt der frühere Käsereiinspektor Toni Bättig fest. Mozzarella, vor noch nicht langer Zeit ein Fremdwort, ist inzwischen in der Schweiz der meistgegessene Käse und entsteht bei Emmi auch aus Seetaler Milch. In Form von Babynahrung schmeckt diese heute selbst Säuglingen in China. Made in Switzerland von der Hochdorf-Gruppe, Grüsse aus der Südi in den Fernen Osten.

Toni Bättig, 1946 in Schongau geboren, machte in Urswil die Käserlehre und im Freiamt die Meisterprüfung, ehe er ab 1967 das Seetal als Käsereiinspektor betreute. Er hat die Zeiten erlebt, zu denen der Käse sozusagen ein staatliches Erzeugnis war, weil Bundesbern Mengen wie Preise regelte, und er hat den Wandel mitgemacht, den der Rückzug des Staates aus dem Käsegeschäft auslöste: erst bei den Käsereien, dann bei den Bauern. 107 Rappen lösten diese 1991 für den Liter Milch, gerade einmal 67 Rappen 2011. Und wer erinnert sich noch an die Jahre, in denen Vreni Schneider im Dress der Käseunion auf den Skipisten Goldmedaillen sammelte? Die Käsereiunion ist seit 1999 Geschichte.

Mehr Käse aus dem Ausland

«Ein schmerzhafter Prozess», weiss Markus Höltschi, Berater an der Landwirtschaftsschule Hohenrain (die inzwischen viel komplizierter heisst, aber das ist eine andere Geschichte). Höltschi hat den Aufbau der Käserei Seetal begleitet, die 2004 aus fünf Käsereigenossenschaften aus Aesch, Hämikon, Gelfingen, Sulz und Hohenrain entstand.

«Grundsätzlich eine gute Sache», stellt Käsermeister Walter Lang fest, der heute in Hämikon mit seinem Team jährlich 5,7 Millionen Liter vor allem zu Emmentaler verkäst. Aber der starke Franken macht ihm zu schaffen und der steigende Käsekonsum trüge, weil immer mehr Käse importiert werde. Lang hat jedoch mit seinen Spezialitäten Erfolg: Seine «Luzerner Perle» zum Beispiel nimmt ihm die Migros ab. «Ein gut aufgestellter Betrieb und eine gesunde Genossenschaft » sei die Hämiker Käserei, sagt Markus Höltschi. Er bangt nicht um die Milchwirtschaft im Seetal, denn sie habe den Strukturwandel «wie kaum eine andere Region» hinter sich. Allerdings: Wenn der Preisdruck weiter steige… Höltschi macht den Satz nicht fertig, aber man kann ihn sich denken.

Für Toni Hodel und Herbert Odermatt, Partner der Käserei Eschenbach GmbH, ist dieser Druck bereits Alltag. Derzeit erhalten sie noch 6 Franken für das Kilo Emmentaler, in guten Zeiten war es das Doppelte, und neuerdings überweist ihnen der Händler bei der Abnahme der Käselaibe nur eine Anzahlung. Den Rest gibt’s erst, wenn der Käse verkauft ist. «Das macht es schwierig zu budgetieren», sagt Hodel.

Greyerzer mit höchstem Milchpreis

Die Voraussetzungen für die Käsereien sind allerdings unterschiedlich. Rain etwa ist die einzige Greyerzer-Käserei im Kanton Luzern, und der rezente Rohmilch-Hartkäse hat dem Emmentaler inzwischen den Rang abgelaufen. Die Produktionsvorschriften sind streng, der Milchpreis ist dafür hoch: Mindestens 83 Rappen kann Käser Stefan Kaufmann seinen derzeit zehn Lieferanten bezahlen. «Wir haben keine Absatzprobleme», sagt er.

Fritz Vonarburg dagegen, der in der Käserei Sagen, ebenfalls auf Rainer Boden gelegen, aus der Milch von zwölf Bauern Sbrinz herstellt, findet, es sei früher «natürlich einfacher» gewesen. «Wir hatten weniger Freiheiten, dafür war der Preis geregelt.» Und: Spezialitäten herzustellen, sei nur das eine, man müsse sie auch vermarkten können.

Zurück an den Anfang: Das Seetal ist immer noch ein Land, in dem die Milch reichlich fliesst, doch ganz so süss wie ehedem ist sie — jedenfalls für die Bauern — nicht mehr. Die Milchmenge steigt nach Kennermeinung sogar leicht, wenngleich dies aufgrund der vielen Abnehmer und verschlungenen Lieferwege nicht ohne weiteres zu belegen ist. Die Genossenschaft Zentralschweizer Milchproduzenten (ZMP), Hauptabnehmerin im Seetal, sammelte hier 2010 von rund 150 Bauern 58 Millionen Liter Milch ein. An die fünf Käsereien flossen von rund 100 Bauern um die 15 Millionen Liter. Die Südi wiederum verarbeitete 2010 in Hochdorf 132 Millionen Liter. Sie bezieht ihre Milch über den ZMP und hat 63 Direktlieferanten, weiss aber nicht, welche Menge aus dem Seetal stammt.

Fest steht dagegen: Die Anzahl Bauern sinkt, dafür werden die Betriebe grösser. Im Kanton Luzern ist deren Gesamtzahl von 2000 bis 2009 (aktuellste Daten) von 5779 auf 5146 gesunken.

Käse ist «ke Chäs»

Nun, die Zeiten sind für die Bauernsame in mancherlei Hinsicht härter geworden, in sprachlicher Hinsicht, bezogen auf den Käse, aber gottlob wertschätzender. «Verzöu doch ke Chäs», sagten wir ehedem und meinten damit: keinen Mist. Das Wort, das heute in solchen Fällen alle Welt gebraucht, fängt mit einem Sch… an, was zwar die Sache nicht besser macht, aber immerhin den Käse nicht mehr verunglimpft. Christian Schmid, Mundartexperte von Radio DRS 1, vermutet, der Volksmund habe den Käse deshalb stets einer Nichtigkeit gleichgesetzt, weil Käse auf dem Land als ein billiges, leicht herzustellendes Nahrungsmittel gegolten habe. Schon im 15. Jahrhundert habe man das Wort Käse im Sinn von Unsinn, dummes Zeug verwendet. Der genauere Zusammenhang, weshalb Käse für nichts und eine Nichtigkeit stehen soll, sei ihm aber «ehrlich gesagt auch nicht ganz klar». Denn: Bei «Das ist doch wurst» ist die Wurst nicht besser dran, obwohl auch das ein Qualitätsprodukt ist.»

Was dem Käse aber eigentlich wurst sein kann.

*Dominik Thali (geboren 1963) hat seine Wurzeln in Gelfingen, wuchs in Einsiedeln auf und lebt seit 1989 in Hochdorf. Er war u.a. Redaktor des «Seetaler Bote» und ist seit 2006 Kommunikationsverantwortlicher der katholischen Kirche im Kanton Luzern. Für die sechs Ausgaben der «Brattig» 2016 bis 20121 war er deren verantwortlicher Redaktor.

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