1907 wurde in Hochdorf gestreikt. Illustrator Ludwig Suter zeichnete eine Szene in der Ausgabe von 1998. | © 1998 Seetaler Brattig

*Werner Lustenberger

Um die Jahrhundertwende beschäftigten in Hochdorf verschiedenartige Betriebe etwa 700 Arbeitnehmer, darunter zahlreiche Ausländer, vor allem Italienerinnen und Italiener. Sie waren in der Schokoladefabrik Lucerna tätig, in der Ziegelei, in einem der Baugeschäfte, in metall- und holzverarbeitenden Betrieben, in der Stickerei, in der Seifenfabrik.

Sechs Arbeitstage zu zehneinhalb Stunden pro Woche waren damals üblich. Eben hatte der Regierungsrat einem Gesuch der Hotellerie entsprochen, wonach diese – bei gewissen Einschränkungen – die Wäscherinnen und Glätterinnen während der Hochsaison sogar 13 Stunden im Tag beschäftigen durfte. Als Lohn bezahlte die Lucerna den Schokolademädchen 18 bis 25 Rappen die Stunde. Davon kamen für Kost und Logis in den fabrikeigenen Häusern pro Monat 25 Franken in Abzug. Bei der Verpflegung dominierten Mais und Erbsen, geschlafen wurde in Viererzimmern. Kein Wunder, dass sich die Arbeitnehmer organisierten und zur Wehr setzten. Streiks waren damals in ganz Europa sozusagen an der Tagesordnung. So berichtete das «Vaterland» in der zweiten und dritten Juliwoche 1907 von nicht weniger als 17 neuen Arbeitskonflikten.

Es gärt in Hochdorf

Am 18. Juli 1907 leitete die k. und k. österreichisch-ungarische Gesandtschaft ein telegraphisches Gesuch ihres Staatsangehörigen Karl Stranik weiter, der in Hochdorf eine Armaturenfabrik betrieb und sich von streikenden Arbeitern bedroht fühlte. Die Empfängerin, das Eidgenössische Militärdepartement, telegraphierte umgehend der Luzerner Regierung und ersuchte sie, das Nötige zu veranlassen und Meldung zu erstatten.

Am späten Nachmittag kabelte das Luzerner Polizeidepartement nach Bern zurück: «Vorkommnisse in Hochdorf nicht bedeutend. Nötige Massnahmen getroffen. Bericht folgt.»

Drei Tage später wird dieser Bericht nach Bern abgeschickt. Daraus erfahren wir, dass sich in Hochdorf bloss etwa 25 Arbeitnehmer am Streik beteiligten. Die Ausgesperrten seien entlassen, eine Wiedereinstellung werde abgelehnt. «Abgesehen von einigen geringfügigen Bedrohungen und Beschimpfungen, die ja zu den üblichen Begleiterscheinungen solcher Ausstände gehören und die hier zum Teil durch das provokatorische Verhalten des Herrn Stranik selbst veranlasst worden sein mögen, nahm die Bewegung einen ruhigen Verlauf.» Fehlbare würden bestraft und Arbeitswillige geschützt. Zu diesem Zweck habe man den Polizeiposten in Hochdorf verstärkt. Zu weiteren Massregeln läge bis dato kein Anlass vor.

Das Telegramm aus Bern hatte die Regierung nicht überrascht, ging doch der Streik der Hochdorfer Metallarbeiter bereits in die siebte Woche. Im Bundesarchiv ist ein Bericht vom Polizeiposten Hochdorf ans Kommando in der Hauptstadt erhalten geblieben. Mit Datum vom 19. Juli rapportierte Korporal Steffen, die nachfolgend aufgelisteten in Hochdorf wohnhaften Italiener «huldigen anarchistischen Ideen, d. h. sie unterstützen mit Geldbeträgen die anarchistische Zeitschrift ‹Il Libertario› aus Spezia und besuchen bezügl. veranstaltete Zusammenkünfte». Es folgen 33 Namen. Dann meint der Berichterstatter: «Es ist jedoch nicht gesagt, dass alle Genannten ausgesprochene Anarchisten sind, jedoch befinden sie sich auf dem besten Wege dazu, und findet man die Leiter, um sie unter genaue Kontrolle zu stellen, so wird die Begeisterung stark bedämpft.»

In der Folge wurde die Lage in Hochdorf zunehmend ungemütlicher, denn beide Seiten drohten mit Gewalt. Von drei aktenkundigen Arbeitgebern wissen wir, dass sie damals Handfeuerwaffen auf sich zu tragen pflegten. Ein Plakat machte bekannt, dass Streikende entlassen und nicht mehr eingestellt würden und dass sie überdies mit der Kündigung ihrer Wohnungen zu rechnen hätten.

Ein Schuss! – Die Lage gerät ausser Kontrolle

Sonntag, 21. Juli. Der Arbeitgeber Tschupp, Teilhaber einer Installationsfirma, begleitet einen zugereisten Arbeitswilligen zu dessen Wohnung an der Bellevuestrasse. Ein Streikender folgt den beiden und versucht, den Zugezogenen von der Arbeitsaufnahme abzuhalten. Dabei wird er von einem deutschen Zimmermannsgesellen sekundiert.

Am Bestimmungsort angekommen, geht das Wortgefecht in Handgreiflichkeiten über. Tschupp wird am Kragen gepackt und an die Hauswand gedrückt. Es gelingt ihm, einen der beiden Gegner zur Seite zu stossen; mit dem Griff seines Revolvers schlägt er auf den Kopf des andern ein. Dabei löst sich ein Schuss, zum Glück ohne Schaden anzurichten.

Kurz danach hat sich vor dem Haus dieses Arbeitgebers an der Baldeggstrasse eine zornige Menschenmenge versammelt, die dessen Verhaftung verlangt. Die Polizei ist zu schwach, um einzugreifen. Erst im Verein mit der eilends aufgebotenen Feuerwehr gelingt es, das Haus von Tschupp abzuriegeln. Die Menge erfährt, dass dieser nicht verhaftet würde, weil keine Fluchtgefahr bestehe. Der Vorfall werde aber untersucht. In der folgenden Nacht gehen einige Fensterscheiben in Brüche, sonst aber bleibt es ruhig. Die Streikenden und ihre Sympathisanten rufen noch am selben Abend den allgemeingültigen Streik aus. – Das «Vaterland» schreibt, Hochdorf, das rasch zu einem Industriedorf geworden sei, habe es nun auch zu einem Generalstreik gebracht.

Generalstreik

Anderntags drehen sich wohl alle Gespräche in den Betrieben um den Aufruf zum Generalstreik. Die Arbeiterinnen und Arbeiter der Schokolade- und der Seifenfabrik schliessen sich der Bewegung an, ebenso zahlreiche Arbeitnehmer von Holz- und Metallbetrieben. Während der «Revolverheld » vom Vorabend auf dem Amt verhört wird, ziehen Streikende hinter einer roten Fahne durchs Dorf. Gegen Mittag trifft der Arbeitersekretär Koch aus Luzern in Hochdorf ein. Seine Meldung, wonach der Regierungsrat eben ein Truppenaufgebot beschlossen habe, löst einen Sturm der Entrüstung aus.

Am Nachmittag erreicht der Streik seinen Höhepunkt. Nun sind es um die 400 Arbeitnehmer, die sich der Bewegung angeschlossen haben. Die meisten von ihnen nehmen an einem

Demonstrationszug teil, einige samt ihren Kindern. Es geht dorfauf und -ab, vom «Hirschen» zum äussersten Italienerquartier an der Baldeggstrasse und wieder zurück. Das «Luzerner Tagblatt» berichtet von Zugsordnern, sie hätten «das Filzhütchen mit dem breiten Rande und dem roten Federchen windig aufs linke Ohr gedrückt, die Krawatte in leuchtenden Farben, die Hose aufgekrempelt» und stolzierten, ein Stöcklein schwingend, neben dem Zug einher. Von Zeit zu Zeit riefen sie den zu viert Hand in Hand gehenden Italienerinnen «Coraggio, coraggio!» zu. Die Hübscheste habe die rote Fahne vorantragen dürfen. Zu Ausschreitungen kam es nicht.

Verhandelt wird vorerst ohne Erfolg

An diesem Montag trafen sich die Regierungsräte zu zwei ausserordentlichen Sitzungen. Zur ersten kam der Hochdorfer Amtsstatthalter Dr. Sigrist angereist und berichtete über die neuste Lage an der Streikfront. Der Konflikt sei nunmehr in ein kritisches Stadium getreten, man müsse mit Gewalttätigkeiten rechnen, wenn die Streikenden Verhaftungen zu verhindern suchten. Die Polizei reiche nicht aus, um Ruhe und Ordnung aufrecht zu erhalten.

Die Regierung setzte auf zwei Karten: zum ersten sollte das Militär die Lage wiederherstellen, zum andern wollte man den Konflikt auf dem Verhandlungswege zu schlichten versuchen. Zu diesem Zweck werde sich Regierungsrat Schumacher am Nachmittag nach Hochdorf begeben.

An einer ersten Sitzung mit dem Arbeitersekretär Koch nahmen der Amtsstatthalter, Direktor Schmidlin von der Seetalbahn und andere Vertreter der Arbeitgeberseite teil. Die zweite Aussprache wurde von Regierungsrat Schumacher geleitet. Koch forderte die 57-Stunden-Woche, fünf Prozent mehr Lohn und die Wiedereinstellung der ausständischen Arbeiter. Die Patrons offerierten, die Samstagsarbeit auf sieben Stunden zu verkürzen, «was der Freigabe des Samstagnachmittags gleichkommt». Während man sich bei der Arbeitszeit und bei der Entlöhnung zu verständigen schien, verhärteten sich die Positionen im Zusammenhang mit dem Wiedereinstellen von Ausgesperrten, die die Arbeitgeber für Rädelsführer hielten. Der Vorschlag, diese Leute wieder einzustellen, ihnen aber sofort zu kündigen und sie mit einer Abfindung gleich wegzuschicken, fand auf gewerkschaftlicher Seite vorerst keine Zustimmung.

Schliesslich ging es noch um einzelne Arbeitnehmer, die keine Anstellung mehr finden sollten, weil sie das Hausrecht verletzt hätten und weil die Meister es als untragbar empfanden, in ihren kleinem Betrieben wieder neben diesen Gesellen in derselben Werkstatt wirken zu müssen. Die Fabriken würden am folgenden Tag offen bleiben. Wer nicht zur Arbeit erscheine, sei entlassen.

Der regierungsrätliche Vertreter kehrte noch am selben Abend in die Hauptstadt zurück. Sein Ziel hatte er zwar nicht voll erreicht, doch würde vom folgenden Tag an das Militär zum Rechten sehen.

Das Militär marschiert ein

Zurück zur ersten ausserordentlichen Sitzung des Regierungsrates. Der Lagebericht des Amtsstatthalters verfehlte seine Wirkung nicht. Die Exekutive beschloss, die Füsilierkompanie 111/44 aufzubieten, und, als im Laufe des Tages weitere bedrohliche Nachrichten aus dem Seetal eintrafen, kam sie in einer zweiten Sitzung zum Schluss, es müsse, um die drohende Gefahr meistern zu können, das ganze Bataillon 44 sowie die Dragonerschwadron 22 auf Pikett gestellt werden. Mit diesen Massnahmen solle Ruhe und Ordnung gewährleistet und allen Arbeitswilligen der nötige Schutz zuteil werden. Das Recht zu arbeiten, dürfe niemandem verwehrt werden. Der Bataillonskommandant, Major Josef Knüsel, weilte in diesen Tagen mit seiner Familie im Eigental in den Ferien. Am Montag, als er um ein Uhr von einer Bergwanderung zurückkehrte, empfing er den telegraphischen Befehl, unverzüglich einzurücken. Drunten in der Stadt herrschte einige Verwirrung. Das «Luzerner Tagblatt» hatte am Nachmittag ein Extrabulletin herausgegeben, auf dem vom Aufgebot des ganzen Bataillons 44 und der Dragonerschwadron 22 die Rede war. Ein zweites Bulletin mit der korrekten Meldung von einem Pikett dieser Truppen folgte im Abstand von weniger als einer Stunde.

Bereits um halb fünf Uhr traf Major Knüsel in Hochdorf, eine halbe Stunde später in Baldegg ein, wo die Truppe sich besammeln sollte. Der Kommandant der 111/44, Hauptmann Joseph Gubser, nahm sein telegraphisches Aufgebot in Bern entgegen. Als erste waren zwei Zugführer aus der Stadt und einige Unteroffiziere aus der Gegend von Neudorf zur Stelle. Dann strömten aus allen Himmelsrichtungen die übrigen Angehörigen der Kompanie herbei. Weil nur jene 11/44er aufgeboten waren, die im Kanton Wohnsitz hatten, belief sich der Bestand schliesslich auf etwa hundert Mann.

Man blieb die Nacht über in Baldegg. Der Einmarsch in Hochdorf erfolgte am Dienstagmorgen in der Frühe. Das Hochdorfer Schulhaus diente fortan als Unterkunft.

Unverzüglich wurden vor den Fabriken Wachen aufgezogen und Patrouillen losgeschickt. Andere beschützten Arbeitswillige auf dem Weg zum Betrieb. Jeder Soldat trug zehn scharfe Patronen auf sich. Aufmüpfige habe man «in rechter Luzerner Art zurechtgewiesen». Im Klartext heisst das wohl, es seien Kolbenstösse appliziert und mit blanken Bajonetten gedroht worden. Ob das Eskortieren von «Schokolademädchen» besonders beliebt gewesen oder von den Soldaten als Schmach empfunden wurde, lässt sich nicht mehr ausmachen. Der «Centralschweizerische Demokrat» behauptete, eine Abteilung sei «behufs Herausholung der ausländischen Arbeiterinnen» in deren Unterkünfte befohlen worden. In einer späteren Nummer gewährte dasselbe Blatt dem Bataillonskommandanten Raum für eine Gegendarstellung. Major Knüsel betonte darin, das Militär habe auf die Arbeitnehmer nie Zwang ausgeübt. Die Aufgabe hätte lediglich darin bestanden, Arbeitswillige vor Belästigungen zu schützen. Am fraglichen Mittwoch habe die Truppe «nur in der

Nähe und vor den Logierhäusern der Schokoladearbeiterinnen Aufstellung genommen» und eine Begleitung habe erst stattgefunden, «als dieselben die Häuser verlassen hatten und sich, ohne Zutun der Truppe, in der Richtung der Fabrik in Bewegung setzten».

Der Streik bricht zusammen, die Truppe wird entlassen

Am Dienstag waren einzelne zugereiste, schriftenlose Italiener, die in der Streikbewegung eine wichtige Rolle gespielt hätten, verhaftet worden. Einer der «Streikmeister» konnte sich noch rechtzeitig aus dem Staub machen. Mehrere Ausländer mit gültigen Papieren packten ihre Siebensachen und reisten ab. Bereits am Mittwoch wurde in den meisten Betrieben wieder gearbeitet. Oft kehrten Einheimische zuerst an ihren Werkplatz zurück.

Gewerkschaftssekretär Koch hatte inzwischen neue Verhandlungen beantragt, die zum Erfolg führen sollten. Der Entwurf einer Vereinbarung fand in einer Versammlung der Holz- und Metallarbeiter Zustimmung. Man einigte sich auf eine 57-Stunden-Woche. Am Samstag wird künftig die Arbeit auf sieben Stunden reduziert, die Arbeitnehmer erhalten 5% mehr Lohn. Mit Ausnahme von drei Ausgesperrten werden alle wieder eingestellt; keiner darf wegen seiner Teilnahme am Streik gemassregelt werden.

In einer weiteren ausserordentlichen Sitzung vom Donnerstag, 25. Juli, stellte der Regierungsrat fest, dass die Arbeit in Hochdorf fast allgemein wieder aufgenommen sei. Daraufhin wird das Militär- und Polizeidepartement ermächtigt, die Entlassung der dienstleistenden 44er anzuordnen und ihren Einsatz zu verdanken.

Am Freitag nachmittag ist es soweit: die Besetzer dürfen abtreten. Gleichzeitig ordnet Hauptmann Jans, der Kommandant der Luzerner Kantonspolizei, eine Verstärkung des Hochdorfer Postens an, um den Sicherheitsdienst zu gewährleisten. Dieser Streik von 1907 gehört damit der Vergangenheit an.

Manöverkritik

In seinem Rückblick auf diese bewegten Tage schreibt der «Centralschweizerische Demokrat», das Truppenaufgebot sei unnötig gewesen, weil die Streikenden Ruhe und Ordnung nie gefährdet hätten. Übrigens – fährt er fort – hatte das Militär «weiter nichts zu tun, als hin und her zu marschieren, mit aufgepflanztem Bajonett und scharfer Munition an der Sonne zu stehen (…) und zum Amt zitierte Genossen dorthin zu eskortieren». Viele hätten es als Schande empfunden, in voller Montur neben Fabrikmädchen einhergehen zu müssen. Die Eile des Regierungsrates, in Hochdorf mit Militär zu intervenieren, erkläre sich nicht zuletzt aus der Tatsache, dass bei einzelnen Mitgliedern persönliche Interessen auf dem Spiel gestanden hätten, seien doch mehrere Ratsherren Aktionäre von Hochdorfer Firmen gewesen. Einen besonders bitteren Nachgeschmack habe die praktizierte Klassenjustiz hinterlassen. Zwei Arbeitgeber, die mit vorgehaltenen Revolvern gedroht hätten, seien freigesprochen und die Verfahrenskosten den Arbeitern überbunden worden, während zwei Genossen, die lediglich mit Worten gedroht hätten, in Untersuchungshaft gekommen seien.

Anders tönen die bürgerlichen Kommentare. Nur schon die Nachricht vom Truppenaufgebot habe sofort beruhigend gewirkt. Vom Mittwoch an hätten die arbeitswilligen Einheimischen, die zuvor aus Furcht vor Repressalien daheimgeblieben seien, es wieder gewagt, in ihren Betrieben zu erscheinen. Auch habe das Plakat des Platzkommandanten bewirkt, dass ab sofort Ansammlungen auf Plätzen und Strassen unterblieben seien. Der Truppe wird gute Haltung und ruhiges, taktvolles Vorgehen attestiert.

Der besonnene Gewerkschaftsvertreter Koch hatte beim Vermitteln keinen leichten Stand, nicht zuletzt, weil sich zugereiste Anarchisten bei der italienischen Arbeiterschaft Einfluss zu verschaffen versuchten, Leute also, die viel radikaler dachten und handeln wollten als der einheimische Arbeitervertreter. Das räumt auch der «Centralschweizerische Demokrat» ein, und das konservative «Vaterland» bestätigt, dass Koch sich bei den Verhandlungen loyal gezeigt habe.

Bei der nachträglichen Beurteilung des Hochdorfer Streiks stehen sich zwei Meinungen gegenüber. Die einen sind davon überzeugt, dass sich die Regierung den Einsatz von Militär hätte schenken können, die andern behaupten, ohne die III/44er wäre die Lage ausser Kontrolle geblieben und, was die Arbeiter schliesslich erreicht hätten, wäre auch ohne Streik zu haben gewesen. Jedenfalls war die Auseinandersetzung im Seetal nicht ernst genug, um die üblichen Sticheleien zwischen «Vaterland» und «Tagblatt» zu unterbinden. Auch hier gab es noch Wogen zu glätten. Im «Luzerner Tagblatt» vom 27. Juli lesen wir zum Beispiel, die Redaktion habe vom zuständigen Amtsstatthalter einen Brief erhalten, worin er sich von einer Meldung im «Vaterland» distanziere: er bestätige, dass am vergangenen Sonntag auch liberale Feuerwehrmänner, im besondern der Chef des Hydrantenkorps, tatkräftig mitgeholfen hätten, die heikle Lage zu meistern.

Ein paar Monate später hatte das Schweizervolk über ein neues Militärgesetz zu befinden. Die klare Zustimmung der Luzerner beweist, dass der Auftritt der 44er in Hochdorf nicht kontraproduktiv gewirkt hat. Im Seetal zählte man damals 54,8% Jastimmen, was dem kantonalen Gesamtergebnis entsprach.

 sDer Alltag konnte wieder seinen Lauf nehmen. Mit dem Unterschied, dass die neuen Arbeitszeiten den Werktätigen nun Gelegenheit gaben, am Samstagnachmittag «ihre Gärtlein vor ihren Häusern zu pflegen» und «im Haushalt zum Rechten zu sehen.»

Ältere Generationen kannten Werner Lustenberger (1924–2020, Adligenswil) als Bildungspolitiker: Lehrer, Dr. phil., Gründungsdirektor des Schweiz. Instituts für Berufsbildung (heute: Eidg. Hochschulinstitut für Berufsbildung EHB) in Bern. Andere kannten ihn als langjährigen Kommandanten der Seetaler Füsilierkompagnie II/44. Und vielen wurde er durch zahlreiche historische Beiträge bekannt, so auch zu den Plänen eines Panzerübungsplatzes auf dem Lindenberg in den Fünfzigerjahren.

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