Doppelseite aus der Brattig 1983; links ein Gemälde von Caspar Wolf (1762), unten das Abtzimmer mit der Tapetenmalerei von Caspar Wolf.

*Josef Elias

Das väterlicherseits vorprogrammierte Ausflugsziel meiner Bubenjahre endete stets auf dem Horben. Dort gab es eine schöne Aussicht, Bauernbratwürste, ein Schlösschen und eine Kapelle. Die Reise begann mit der Fahrt im «Seetaler». In Baldegg stieg man aus, wanderte auf staubigen Feldwegen über Kleinwangen nach Lieli und kehrte beim dortigen Dorfwirt ein. Er hiess Peter, war Schwingerkönig und damals der einzige Liberale im Dorf. Sein kräftiger Handschlag gehörte zur Attraktion der ersten Marschetappe.

Dann spazierten wir im Schatten prächtiger Wälder die westliche Seite des Lindenbergs hoch und landeten nach der zweiten Durststrecke bei der Alpwirtschaft Horben. Hier bot sich eine prächtige Rundsicht: westwärts erblickte man den Pilatus und – bei Föhnwetter und mit etwas Vorstellungsvermögen – die Berneralpen. Südöstlich sah man die schmucken Bauerndörfer des Freiamts, den Zugersee, den oder die Rigi und den Rossberg. Im Norden grenzte eine grossflächige Viehweide an den Wald mit dem alpinen Hochmoor Ballmoos und im östlichen Sichtwinkel entdeckte man das von einer Baumgruppe leicht abgeschirmte Schlösschen. Und eine Kapelle.

Nach dem Verzehr der obligaten Bauernbratwurst klopfte mein Vater und seine Wanderkollegen mit dem Gastwirt einen Jass und ich versuchte,- das naheliegende Schloss und die Kapelle in Augenschein zu nehmen. Der Zutritt zum Herrschaftshaus war damals (wie heute) nicht möglich: «Privatbesitz» stand auf einer Blechtafel zu lesen.

Der Zufall wollte es, dass ich vor ein paar Jahren als Untermieter einer liegenschaftseigenen Ferienwohnung beim jetzigen Schlossbesitzer vorsprechen musste und so für ein paar Augenblicke Einblick in das prächtige Gebäude kriegte. Dieser Kurzbesuch und die mir von Frau Agnes (der Gattin von Nationalrat Dr. Leo Weber, Muri) liebenswürdigerweise zur Verfügung gestellten Bild- und Textunterlagen ermöglichen die folgenden Detailinformationen:

Der Murianer Abt Plazidus Zurlauben liess um 1700 das Schloss als Erholungsheim für die Konventualen des Klosters bauen. Hier konnten sich die kirchlichen Würdenträger von ihren geistlichen und ökonomischen Tätigkeiten («Ora et labora») ausruhen.

Nach der Aufhebung des Klosters wurde das Schlösschen Privatbesitz und zu einem Wirtshaus umfunktioniert. Der Schenkenbetrieb hat dem An- und Aussehen des Sommersitzes mehr geschadet als genützt und das Gebäude drohte zu verfallen.

1913 ging die Liegenschaft in die Hand der Familie Borsinger über, welche das Haus und die Kapelle sorgfältig restaurierte. Das verlorengegangene Klosterwappen über dem Hauptportal wurde durch das Wappen der jetzigen Schlosseigentümer ersetzt.

Im ersten Stock des Gebäudes befindet sich nördlich das Jagdzimmer mit den wertvollen Tapetenmalerien des 1735 in Muri geborenen Caspar Wolf. Dieser hat als Landschafts- und Kirchenmaler Weltruf erlangt. Die Bilder auf den grossflächigen Wandbespannungen zeigen Jagdszenen und biblische Geschehnisse: die Speisung des Elias durch den Engel, die Geschichte von Joseph und seinen Brüdern, die Metapher vom Guten Hirten das Gleichnis vom Barmherzigen Samaritan. Wunderschöne Stukkaturen beleben die Zimmerdecke. Die Kartuschen sind aus schlanken Blatt- und Rocaillewedeln gebildet.

Im Südosten des Gebäudes liegt das Abtzimmer. Die bis zum Boden reichenden Tapetenbilder von Caspar Wolf schildern Episoden aus dem Leben des heiligen Benedikt. Diese spielen sich im kulissenartigen Aufbau von Gebirgslandschaften ab und haben mit ihren gemalten Beleuchtungseffekten geradezu theateralischen Charakter. Der untere Drittel der Wandbespannung ist mit Blumen- und Früchtestilleben dekoriert.

In einer Zimmerecke steht ein prächtiger Turmofen mit blauweissen Kachelbildern, welche Ruinen- und Hafenlandschaften darstellen. Der Murianer Ofenbauer Michael Küchler schuf 1764 dieses wärmespendende Kunstobjekt.

Alle drei Stockwerke des Gebäudes werden durch einen breiten Korridor erschlossen. Von dort führen reichverzierte Türen in das Speisezimmer und in die Wohnungen der ehemaligen Konventualen. Im Dachstock waren vermutlich die Dienstboten untergebracht.

1730 liess Fürstabt Gerold Haimb die heutige Kapelle zu Ehren der Heiligen Wendelin und Ubaldus bauen. Auf dem von Matthäus Baisch 1745 geschaffenen Altar zelebriert noch heute der Beinwiler Pfarrherr einmal im Monat die heilige Messe. Das Glöcklein der Kapelle trägt die Inschrift: «Aus dem Fever kom ich / Abb aus Zug goss mich» und ruft am 20. Oktober besonders wohlklingend die umliegende Bevölkerung zur Wendelinsfeier.

Das Schlösschen Horben birgt verschiedene Kunstschätze, welche dem Wanderer auf dem Lindenberg nur schwer zugänglich sind. Die Kapelle kann von interessierten Besuchern besichtigt werden: der Schlüssel ist im Gasthaus Horben deponiert.

Der ehemalige Sommersitz der Geistlichen aus dem nahen Klosterdorf bildet eine architektonisch reizvolle Bereicherung des Hügelzuges zwischen dem Luzerner Seetal und dem aargauischen Freiamt. Man kann sich vorstellen, dass das Gespenst eines ehemaligen Klostervogts in den Novembernächten mit Vorliebe durch diese Gegend galoppiert: gehörten doch die 16 Jucharten Land zum ehemaligen Klostergut von Muri, allwo der sagenhafte «Stifeliriter» im Mittelalter sein Unwesen trieb…

*Josef Elias (1923–2000) stammt aus Emmen und besuchte die Kunstgewerbeschule Luzern. Der Zeichenlehrer. Bühnenbildner, Regisseur und Dramatiker setzte sich intensiv für das Schultheater ein und war unter anderem von 1955 bis 1974 am Lehrerinnen- und Lehrerseminar Hitzkirch tätig. 1971 erhielt Josef Elias den Preis der Innerschweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft.

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