«Luternauer hat uns alle drei sozusagen nacheinander gestochen»: So sieht Illustrator Ludiwg Suter die Szenerie in der Mordnacht vom 17. April 1861 in der Brattig 2010. | © 2010 Seetaler Brattig

*Hermann Büttiker, Römerswil

Man schreibt das Jahr 1861. An einem lauen Frühlingsabend, es war der 17. April, treffen sich Martin Emmenegger, der «Murermärteli», 22 Jahre alt, Maurer und Steinhauer, der 25 Jahre alte Josef Luternauer, Melker bei Buchmanns, Xaver Kärli, «Kärlibub» genannt, 19 Jahre alt, Steinhauer, und Josef Junz — Näheres nicht bekannt — in Hochdorf. Was die vier zusammenführt, ist vorerst nicht klar, bis Kärli seine Pläne unterbreitet. Heute Abend soll es den Urswilern gezeigt werden. 14 Tage vorher, also am 4. April, waren er und Junz nach Urswil gegangen, hatten sich dort abends um 10 Uhr ungebührlich aufgeführt und namentlich vor des Uhrenmachers Muffen Haus gelärmt und die Söhne Muff mit beschimpfenden Ausdrücken herausgefordert. Es entstand eine tätliche Auseinandersetzung, wobei auch Josef Ottiger, Knecht bei Thalis, den beiden Söhnen Muff zu Hilfe eilte. Dabei fiel Candid Muff besinnungslos zu Boden, weil er von Kärli mit dem — angeblich geschlossenen —Messer an den Kopf geschlagen worden war. Nun eilte auch Franz Thali (das spätere Opfer) herbei, warf Kärli zu Boden und hat ihn an den Backen «gekräbelt».

Diese Demütigung wollte Kärli nicht auf sich sitzen lassen. Dritten gegenüber äusserte er sich, «er wolle denjenigen schon daran sinnen, der ihn gekräbelt habe». Und weiter drohte er, er komme schon wieder nach Urswil, und zwar bald. Es komme dann noch ein anderer mit, der den Urswilern schon Meister werde. Gegenüber Leonz Büttler äusserte sich Kärli: «Ja, wenn wir wieder nach Urswile kommen und mir dort Franz Thali unter die Hände kommt, dem will ich das Messer kehren. Und gegenüber Leonz Zürcher sagte Kärli, nachdem er ihn und Emmenegger beim Messerschleifen beobachtet hatte: «Wir müssen die Messer für die Urswiler schleifen.» Mehrere seiner Kumpanen wollte er anwerben, mit ihm zu gehen, «um die Urswiler auszuwixen». Er bezahle ihnen genug Most und «Bränz». Thali müsse seinen Teil haben. Nun also soll Rache geübt werden. Die vier oben Genannten sind fest entschlossen, die verloren gegangene Ehre wieder herzustellen.

«Horus, ihr Urswiler-Chaibe»

Kärli, Junz, Emmenegger und Luternauer machen sich so um halb 9 Uhr auf den Weg nach Urswil auf, nachdem sie sich zuvor in der Stube von Bühlmanns aufgehalten und beim Weggehen erklärt hatten, sie wollten nach Urswil, um einen Most zu trinken. Luternauer rüstet sich mit einem Stecken aus, den er unter das Überhemd versteckt. Alle vier tragen ein Messer im Sack. In Urswil angekommen begeben sie sich zu Petermanns, um dort einen Besuch zu machen. Die Petermanns sind aber schon im Bett, und so wollen die vier ins Wirtshaus, wo auch niemand mehr auf ist. Bei der Krämerjosten Scheune angelangt, trennen sie sich. Emmenegger und Junz marschieren voraus, Kärli und Luternauer mit Abstand hintennach, bewaffnet mit einem Scheit in der einen und einem Messer in der andern Hand. Vor dem Haus der Familie Thali beginnen sie zu lärmen und Steine zu werfen mit der Absicht, die Thalis herauszulocken.

Xaver Thali, der Überlebende der drei Thali-Brüder, schilderte die Situation so: «Wir waren schon alle im Bett; da hörte ich auf einmal vor unserem Hause, wie schon früher einmal, ein Gelärm und Gebrüll. Sie geitschten, riefen uns alle Schand hinauf, und ich wusste nicht, ob sie uns noch die Fenster einwerfen wollen. Ich stand auf, ging, entgegen dem Abraten meines Vaters, hinunter. Meine Brüder folgten mir, und wir sagten, wir wollen die Burschen zum Dorf hinausjagen.» Das Geschrei hören auch andere Urswiler, namentlich folgende Ausdrücke sind gefallen: «Horus, ihr Urswiler Chaibe, ihr Huren-Häbbirrenbüch. Wenn’s etwas mit euch wäre, so dürftet ihr zu uns herunterkommen.» Anna Lang bezeugte: «Sie haben dort geflucht und Ausdrücke gebraucht, dass ich bei mir selber dachte, man sollte sie mit Ruten ausjäten.»

Die verhängnisvolle Rauferei

Die drei Thali-Brüder Franz, Johann und Xaver stürmen aus dem Haus. Jeder fasst einen Bengel ab der Holzbeige, und sie verfolgen die flüchtenden Nachtruhestörer. Junz springt davon in Richtung Ligschwil, ehe es zur Rauferei kommt. Gegen die Anhöhe hin kommt es dann zum Gerangel. Franz und Johann Thali nehmen den Kampf mit Luternauer auf, während Xaver Thali mit Kärli und Emmenegger kämpft. Mit den Bengeln hauen sie aufeinander los. Plötzlich kommt Luternauer auf Xaver Thali zu und versetzt ihm einen heftigen Stoss links in die Brust. «Ich glaubte, er habe mir eine Rippe eingeschlagen. Es zeigte sich aber bald, dass es ein Stich war. Gleichzeitig hiess es, mein Bruder Franz sei gestochen und Bruder Johann sagte, er habe auch einen Stich. Luternauer hat uns alle drei sozusagen nacheinander gestochen. Bruder Franz ist dann von der Stelle hinweg, wo er gestochen worden war, einige Schritte weit zurück auf die Strasse hinübergegangen, wo er plötzlich eingesunken und verschieden ist. Johann ging noch eine bedeutende Strecke weiter zurück, sank dann aber auf der gleichen Seite der Strasse ein», sagte Xaver Thali im Verhör aus.

Die polizeilichen Ermittlungen

Am 17. April 1861, abends 10 1/4 Uhr, zeigte Jost Frei, Schmied in Urswil, dem Herrn Amtsstatthalter von Hochdorf (Jakob Bugg von Hochdorf, Amtsstatthalter von 1854 bis 1864) an: Bei einer soeben ausserhalb Urswil stattgehabten Rauferei seien die drei Brüder Thali von dort so stark verwundet worden, dass Franz Thali tot und Johann am Sterben sei. Frei hatte seinen Bericht noch nicht beendet, als der Amtsschreiber dieselbe Anzeige brachte mit dem weitern Bericht: In der Hoffnung, den Johann Thali noch lebend anzutreffen und über den Vorfall und die Täter befragen zu können, sei er mit dem Amtsweibel sofort auf das Urswilerfeld geeilt. Im Moment seiner Ankunft sei aber der zweite Bruder, Johann verschieden. Allgemein habe es geheissen, Buchmanns Melker, X. Kärli Maurerfriedels und der Murermärteli seien die Täter.

Sofort wurden die drei Verdächtigen verhaftet. Luternauer lag im Bett. In den Hosentaschen fand sich ein messingener Schlagring und ein einschneidiges Sackmesser mit Springfeder. Auf beiden Seiten der Klinge sind zuhinterst beim Heft dunkelrötliche, blutähnliche, trockene Flecken, welche tags darauf von den Gerichtsärzten für Blutflecken erklärt wurden. Auf Kärli fand sich ebenfalls ein zur Prozedur gelegtes Messer, jedoch ohne Blutflecken. Emmenegger schien im Bett fest zu schlafen. Sein linkes Auge war sehr stark geschwollen. Messer trug er keines auf sich. Wohl aber fand Jakob Ineichen anderntags ein Messer mit offener Klinge 20 Schritte von einer auf dem Urswiler Feld liegenden Kappe und 25 Schritte von Franz Thalis Leichnam. Kappe und Messer anerkennt Emmenegger als die seinigen und gibt zu, das Messer offen in der Hand gehabt zu haben. Auf dem Kampfplatz wurden auch sieben Bengel zusammengelesen, teils gescheiterte, teils runde von verschiedener Dicke und Länge. Drei waren mit Blut befleckt, einer in der Mitte gebrochen.

Am 18. April vormittags begab sich das Statthalteramt mit den Gerichtsärzten zu den gehörig bewachten zwei Leichnamen. Franz Thali lag links an der von Hochdorf nach Urswil führenden Strasse, zirka 230 Schritte herwärts Urswil, Johann 70 Schritte von Franz entfernt, näher Urswil zu links am Strassenrand. Beide wurden ins väterliche Haus gebracht und seziert. Als die unmittelbare und einzig wirkende Todesursache erklärten die Ärzte bei beiden eine penetrierende, zwischen der 4. und 5. Rippe auf der linken Seite der Brust befindliche Stichwunde, bei welcher Luternauers Messer vollständig und nur dieses passte. Xaver Thali hatte auf der linken 7. Rippe quer eine zwei Zoll tiefe und über 1/2 Zoll im Durchmesser haltende Stichwunde, von der die Ärzte eine Heilung innert 30 Tagen ohne nachteilige Folgen prognostizierten. Die Heilung trat auch wirklich ein.

Das Urteil

Das Obergericht des Kantons Luzern fällte am 14. März 1862 im Appellationsverfahren folgendes Urteil:

Die sämtlichen drei Inquisiten (Josef Luternauer, Xaver Kärli und Martin Emmenegger) seien überwiesen und schuldig
a. eines Totschlages gegenüber zwei Personen und des vollendeten Versuchs eines solchen, begangen im Komplott;
b. des Vergehens der nächtlichen Ruhestörung, begangen im Komplott, und zu Recht erkennt:

  1. Josef Luternauer und Xaver Kärli seien zu einer «Kettenstraffen» zwanzig Jahren verurteilt, bei Kärli sei dieselbe jedoch in Zuchthausstrafe von gleicher Dauer umgewandelt.
  2. Martin Emmenegger sei zu einer zehnjährigen Zuchthausstrafe verurteilt.
  3. Alle drei seien ihrer bürgerlichen Ehren verlustig erklärt.

An diese grauenhafte Tat erinnert noch heute ein Helgenstöckli, das 1983 anstelle jenes Helgenstöckli, das von 1861 bis 1942 an derselben Stelle war, errichtet wurde.

Hermann Büttiker (1936–2014) stammte aus Pfaffnau, war Polizist in Hochdorf und ab 1. Juli Amtstatthalter (heute: Staatsanwalt) daselbst bis zu seiner Pensionierung 2001. Hermann Büttiker war viele Jahre auch sonst in der Öffentlichkeit tätig. Politisch in der CVP, als Korrespondent für das «Vaterland» und andere Zeitungen, als Zentralpräsident des damaligen Schweizerischen Katholischen Turn- und Sportvereins (SKTSV, heute Sport Union Schweiz). Er lebte mit seiner Familie erst in Hochdorf, später in Römerswil.

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