Hans und Josette Thali-Krauer mit Sohn Werner. | © Familienarchiv Thali

*Dominik Thali, Hochdorf

1923 kam das Radio in die Schweizer Stuben. 1925 schaltete ein erst 20-jähriger Hämiker seine ersten Inserate für Radio-Apparate: Hans Thali, der später auch als technischer Verleger erfolgreich war. Geblieben sind von ihm kaum mehr als Erinnerungen.

Er wuchs als Bauernbub auf, richtete im Schulhaus seine erste Werkstatt ein und liess mit 22 seine erste Firma ins Handelsregister eintragen. «Schon als Schüler ging sein Streben in die Tiefe, was die Eltern bewog, ihn schulisch bilden zu lassen», heisst es im Nachruf auf Hans Thali. In den besten Jahren habe sein Vater «güterwagenweise Radios importiert» und über sieben, acht Filialen verkauft, erinnert sich der älteste Sohn Hans-Georg (85).

Frieda Fleischli-Bucher (89), die anfangs der fünfziger Jahre bei «Radio Thali» das Büro besorgte, berichtet, wie dieser als Verleger einer der besten Kunden der Hitzkircher Post gewesen sei. Man habe die Päckli mit Büchern und Zeitschriften täglich mit dem Wägeli abgeliefert. Manchmal auch zweimal. «Und adressiert bis nach Amerika.»

Der Mann war geschickt. Geschäftstüchtig.

Sowie fromm. Hans und seine Gattin Josette Thali-Krauer gingen jeden Tag zur Messe. Setzen sich in die vorderen Bänke. Waren Ritter vom heiligen Grab. Im Nachruf liest man, Hans Thali habe manchem Theologen das Studium ermöglicht. Hans-Georg Thali erwähnt, auf Vaters Pult sei über Jahre ein Ordner mit der Aufschrift «Ewiges Leben» gestanden. «Er sammelte alle Artikel zu diesem Thema.»

Die Thalis waren nicht irgendwer.

Am Herrgottstag habe sich Hans Thali als Mitglied einer Technikerverbindung bei den Akademikern in die Prozession eingereiht, «im schwarzen Wichs und mit weissen Handschuhen», erzählt Godi Meyer (86), zeitlebens Primarlehrer in Hitzkirch. Und Frau Thali mit breitem Hut, ergänzt Schreinermeister Franz Jans (80), der lange Zeit eine Schreinerei im Dorf führte: «Für uns war das scho chli e Madame».

Und «Radio Thali» fuhr einen Buick. «Mit Weisswandpneus», erinnert sich Hugo Thali (80, kein Verwandter), der in der Küferei gegenüber der Firma Thali an der Luzernerstrasse aufwuchs. «Durchs Dorf immer langsam, damit er gesehen wurde.» Eric Thali (79), «Radio Thalis» jüngster Sohn, lacht, wie er das hört. «Stimmt genau», sagt er. Frieda Fleischli frügt an, Josette Thali, eine begabte Sängerin, habe jeweils Froschschenkel zubereitet, wenn sie und ihr Mann Albert eingeladen gewesen seien.

Eine Respektsperson

Alois Hartmann (86), der Chronist von Altwis, lernte die Familie auf verschiedenen Wegen kennen. Er erinnert sich an Hans Thali als «geborenen Geschäftsmann». Er beschreibt ihn als «gross und von stattlicher Statur», Thali habe Wert auf sein Äusseres gelegt, sei immer gepflegt erschienen, «gut gescheitelt, im Winter mit schwerem, schwarzem Mantel und weisser Schärpe». Thalis Frau Josette erlebte Hartmann mit ihren breiten Hüten als «stets dem Modischen auf der Spur, ähnlich wie
Bertel Fischer-Seeholzer, die Arztfrau von nebenan. Und: «Die Leute mochten gelegentlich schmunzeln und das Verhalten der Thalis belächeln – ‹Radio Thali› war und blieb eine Respektsperson, technisch versiert und geschäftlich erfolgreich.»

Erinnerungen an den «Radio Thali». Sie verblassen. Doch mit dem wenigen Schriftlichen, das von dem Mann geblieben ist, fügt sich alles zu einem leidlich scharfen Bild.

Ein Radio für die Schlossdamen

Hans Thali, geboren 1905, wuchs als Einzelkind auf. Der Vater liess ihn das Technikum in Freiburg besuchen, der Sohn verlegte fortan «seine Fähigkeiten ins Radiogeschäft […], das sich rasch entwickelte», wie es im Nachruf heisst. Schon der junge Hans muss ein Tüftler gewesen sein. Godi Meyer erzählt von seinem Vater, Jahrgang 1901, und wie damals erst wenige Leute im Dorf einen Radio gehabt hätten. «Wenn der einmal nicht ging, musste der Thali kommen.» Josef Strebel (82), der in Gelfingen die Bubenjahre erlebte, blättert in einem alten Fotoalbum. Seine Mutter Josy, mit «Radio Thali» per Du, habe selbigen dazu gebracht, bei ihnen zuhause zu fotografieren. Wahrscheinlich habe Thali damals sogar ein Blitzlicht gehabt. Hugo Thali schliesslich beobachtete, wie der Nachbar im Sommer, draussen am Sonnenlicht, mittels Heliographie Kopien angefertigt habe. Frieda Fleischli bestätigt das. Im Winter sei drinnen mit Bogenlampen gearbeitet worden. Sie erlebte ihren Chef als «streng», sagt sie. Sein Markenzeichen sei der Bleistift im Mund gewesen.

Der erste Handelsregister-Eintrag von Hans Thali datiert vom 2. September 1927. Als Gründungsjahr des Unternehmens gilt 1930, als aus der Einzelfirma die H. Thali & Cie. mit Sitz in Hitzkirch wurde. Firmenzweck waren «Handel und Konstruktion von Radio-, Grammo- und Kraftverstärkerapparaten und zugehörigen Materialien» sowie der «Vertrieb von Schallplatten».

Das Radiogeschäft erblühte in jenen Jahren. Das Unternehmen habe damals «mehrere Service-Wagen im Einsatz» gehabt, schreibt der «Seetaler Bote» anlässlich des 50-Jahre-Jubiläums in seiner Ausgabe vom 25. April 1980. «Das Tätigkeitsgebiet der Firma (…) dehnte sich schon bald über weite Gebiete der Schweiz aus.» Thali habe unter anderem die erste Lautsprecheranlage in der Klosterkirche Einsiedeln installiert. Dazu findet sich im Klosterarchiv mangels Datumsangabe kein Beleg. Sohn Hans-Georg erzählt hingegen, der Vater habe auch die damalige Taubstummenanstalt Hohenrain ausgerüstet sowie die Schlossdamen auf Heidegg beliefert. Wann das war, wissen wir ebenfalls nicht. Der heutige Konservator Dieter Ruckstuhl bestätigt den Sachverhalt aber. Das Klavier, einst ein Hochzeitsgeschenk, sei 1911/12 ins Schloss gekommen und um 1933/35 an Familie Theiler vom «Adler» in Richensee verkauft worden. «Mit dem Erlös kauften die Damen ein Radio.» 2005 kam das Klavier zurück nach Heidegg

Radios in alle Einzelteile zerlegt

Hans Thali muss einerseits «äusserst freigebig» (Nachruf) gewesen sein, andererseits auch darauf bedacht, dass Soll und Haben aufgingen. Davon zeugen die Akten zu drei Klagen, die er in den dreissiger Jahren gegen Kunden anstrengte. Zur Kasse bat er etwa den Hildisrieder «Kreuz»-Wirt oder den Wirt zur «Krone» in Grosswangen. Im einen Fall ging es um rund 80 Franken, im zweiten um gut 170. Im Prozess gegen Schuhmacher Franz Lichtsteiner aus Buttisholz schliesslich belief sich die Streitsumme auf 109 Franken für bestellte, aber nicht bezogene Radiolampen. Thali liess sich vertreten durch den bekannten Hochdorfer Advokaten und legendären «Seetaler Bote»-Redaktor Fritz Hofstetter. Für den Buttisholzer Fall beschrieb dieser acht (!) Seiten und fügte seinem Rechtsbegehren 21 Beweise an.

Seine Bekanntheit in Fachkreisen, die bis heute andauert, verdankt Hans Thali freilich weniger seinem Erfolg als Radioverkäufer als seinem Gespür, was den Händlern damals fehlte: Schaltpläne, um die verkauften Apparate auch flicken zu können. «Diese Marktlücke erkannte der Fachmann Hans Thali, und er brachte nach kurzer Zeit die heute noch bekannte und wegweisende Schaltungssammlung auf den Markt», schrieb der «Seetaler Bote» im erwähnten Artikel. Die Sammlung bestand aus etwa 1500 Plänen und Stücklisten aller damals in der Schweiz vertriebenen Apparate-Marken wie auch Telephonrundspruch-Geräten – von A wie «Admiral» über O wie «Olympia» bis Z «Zenith». Teilweise liess Thali seine Mitarbeitenden Radios zerlegen und vermessen und erstellte so die Pläne und Listen der Bestandteile. Er kenne «nichts Vergleichbares» und wisse von «keiner nennenswerten Konkurrenz» auf dem Schweizer Markt, sagt etwa Walter Haring (66) in Belp, der die Thali-Sammlung später digitalisiert und als CD vertrieben hat. Er findet sich auf der Website radiomuseum.org, die der Megger Ernst Erb betreut und auf der sich gemäss seinen Angaben weltweit um die 30´000 Kenner austauschen.

«Radio Thali» brachte seine Sammlung um 1942 auf den Markt. Für seinen Sinn fürs Geschäft spricht, dass sie nicht als Ganzes erhältlich war, sondern in zwölf Teillieferungen erworben werden musste, die in monatlichen Abständen zugestellt wurden. Pro Schema betrugen die Kosten am Ende 20 bis 23 Rappen. Die Händler seien wohl froh gewesen um dieses Angebot, mutmasst Ernst Erb. Er verweist auf «das ganz andere Denken in jener Zeit, nämlich Apparate zu reparieren, statt sie wegzuwerfen – mit mehr Umsatz».

Stammgast an der FERA

Das dritte Standbein von «Radio Thali» wurde das Verlagswesen. Herausragend ist das «Technische Wörterbuch», das er ab 1946 in mehreren Bänden auf den Markt brachte. Darin sind Tausende Fachausdrücke der Elektrotechnik ins Englische und Französische übersetzt. Dabei habe sein Vater gar kein Englisch gekonnt, sagt Sohn Hans-Georg. Er habe seine Sammlung vielmehr anhand erhältlicher Wörterbücher und technischer Beschriebe angelegt und sich für die korrekte Einordnung Hilfe geholt – zum Beispiel beim bekannten Alfred Bögli, der ab 1941 am Seminar Hitzkirch Lehrer für Geographie und Naturwissenschaften war. Das Wörterbuch sei bis in die USA verkauft worden. Hans-Georg Thali erinnert sich an «riesige Kästen voller Karteikarten», die er für die späteren Auflagen sortiert habe.

Mit der Schaltschema-Sammlung und dem Wörterbuch wandelte sich die H. Thali & Cie. von der Radiohändlerin nach und nach zum Verlag mit Versandbuchhandlung. Mit seinem Geschäftspartner Robert Willimann übernahm Thali etwa die Vertretung des deutschen Franzis-Verlags in der Schweiz – ein Begriff für technische Fachbücher und -zeitschriften. Nach und nach kamen etwa ein Dutzend solcher Partnerschaften zusammen. Frieda Fleischli, die in jenen Jahren bei «Radio Thali» einstieg, schwärmt heute noch von dessen Geschäftssinn. Ein «übergescheiter Mann» sei Hans Thali gewesen. Und rühmt: «Wir hatten ja eine Adresskartei, dass es tätscht ond chlöpft.» An der FERA, der grossen Fernseh- und Radioausstellung in Zürich, die es bis 1994 gab, war viele Male präsent.

An der Luzernerstrasse – die Firma befand sich dort neben der heutigen Garage Elmiger – wurde es in der Folge eng. Als alt Grossrat und Rechtsanwalt Josef Muff (1882–1956) starb, konnte Thali für seine Familie dessen 1931 erbaute Villa am Meierhofweg 2 kaufen, ein «prächtiger Sitz an schönster Lage oberhalb der Kommende» (Nachruf). Den Geschäftssitz verlegte Sohn Werner, der das Unternehmen 1972 übernommen hatte, 1978 an die Industriestrasse. Im gleichen Jahr starb der Vater mit 73 Jahren.

In Vaters Fussstapfen

Werner Thali (geboren 1940) hatte das Gespür für Trends und Märkte offensichtlich von seinem Vater geerbt, ebenso wie sein älterer und sein jüngerer Bruder, die beide in anderen Branchen als Unternehmer erfolgreich waren. Werner Thali überführte die Thali AG ins Elektronik-Zeitalter und baute sie zu einem führenden Software-Anbieter aus. Den 1992 bezogenen Neubau rüstet er bereits mit Erdsondenheizung, Photovoltaikanlage und Regenwassernutzung aus. «Regenerierbare Energien sind gefragt», heisst es in der Broschüre zur Eröffnung – wiewohl damals noch niemand von Klimawandel sprach.

1994 verkauft Werner Thali das Unternehmen aus gesundheitlichen Gründen seinen zwei Kader-Mitarbeitern Gregor Biland und Thomas Hess. 2004 stirbt er. 1999 schon war Hans Thali Witwe Josette Thali-Krauer mit 93 Jahren verstorben. 2002 verkauft Sohn Hans-Georg Thali die Villa am Meierhofweg den heutigen Besitzern.

Gregor Biland und Thomas Hess führen die Thali AG bis heute. Das Unternehmen ist heute ein Grosshändler im Bereich Technik und Lifestyle. Die Vertretung von Marken wie Pioneer, TEAC oder Pure erinnert noch an das ursprüngliche Geschäft. Vom Gründer ist ansonsten nur der Name geblieben.

Hinweis: Die Altersangaben in diesem Beitrag beziehen sich auf Herbst 2022

*Dominik Thali (geboren 1963) wuchs mit Radio Beromünster auf, hat das elterliche «Still jetzt» vor dem «Rendez vous am Mittag» noch in den Ohren und musste bei der Mutter die halbe Radiostunde für die Hitparade meistens erbetteln. Mit dem «Radio Thali» ist er nicht verwandt. Er hat seine Wurzeln in Gelfingen, wuchs in Einsiedeln auf, lebt seit 1989 in Hochdorf und ist Kommunikationsverantwortlicher der katholischen Kirche im Kanton Luzern.

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