Die Pfarrkirche Ballwil heute, gezeichnet von Ludwig Suter für die «Seetaler Brattig» 1997. | © Seetaler Brattig/Ludwig Suter

* Hans Moos, Ballwil | aus der «Seetaler Brattig» 1997

1997 ist für Ballwil ein Gedenkjahr von besonderem Schlag. Vor 150 Jahren, im wildbewegten Sonderbundsjahr 1847, wurde seine Pfarrkirche im Stil der Münchener Romantik erbaut. 60 Jahre später unterzog man den Innenraum einer einschneidenden Umgestaltung, die die Absichten der Erbauer verfälschte. Nach weiteren 70 Jahren, bei der Restaurierung von 1976/77, erhielt die Kirche ihr ursprüngliches Gesicht zurück. 20 Jahre nach dieser letzten Erneuerung schätzt sich Ballwil glücklich, eine schöne, helle und auch architektonisch wertvolle Kirche als Mittelpunkt einer lebendigen Pfarrei zu besitzen. Das Mehrfach-Jubiläum ist für die Pfarrei nicht umsonst äusserer Anlass zu einem vielfältig gestalteten Besinnungsjahr.

Der «alte Balbeler» will etwas Neues

Die Ballwiler Kirchenbaugeschichte hat ihren eigenen Reiz. Sie dokumentiert nämlich geradezu beispielhaft den Wandel des Geschmacks und der Kunstauffassungen im Laufe der letzten 150 Jahre. Sie zeugt überdies von kämpferischen Auseinandersetzungen um die «richtige» Kirche. Und schliesslich erinnert sie an die legendäre Gestalt des «alten Balbeler», Pfarrer Xaver Herzog, der den seiner Zeit vorauseilenden Bau ganz massgeblich veranlasst und vorangetrieben hat. Alt war Herzog – mit Jahrgang 1810 – damals ohnehin noch nicht. Erst wenige Jahre zuvor hatte er die Pfarrei Ballwil übernommen. Diese war um 1810 durch die sogenannte Abrundung erheblich grösser geworden. Beim Amtsantritt von Pfarrer Herzog, 1841, zählte sie um die 1100 Seelen. Die alte Pfarrkirche stammte aus dem Jahre 1711 und war viel zu klein geworden. Nur der massive Turm sprengte die Proportionen: Er war 1814 hinzugebaut worden und blieb standfest bis heute. Der junge Pfarrer erkannte den Kirchenneubau als vordringliche Aufgabe und ging zügig ans Werk.

Wenn der Pfarrer selber Hand anlegt

Ein origineller Mensch mit hellem Kopf musste Pfarrer Herzog schon damals gewesen sein. Bald einmal hiess er im Volk weit über die Grenzen der Region hinaus «de lustig Balbeler». Doch erst viel später, nach seinem Wegzug 1883 (noch im gleichen Jahr starb er im Chorherrenstift seines Heimatortes Beromünster), unterschied man ihn von seinem Amtsnachfolger mit dem Beinamen, der heute noch vielen Leuten im Seetal geläufig ist. Seine Volkstümlichkeit verdankte er vor allem seiner Schriftstellerei. Er war ein wahrhaft unermüdlicher Schreiber. Da konnte auch der aufsehenerregende Kirchenbau von Ballwil seiner flinken Feder nicht entgehen. Zum Glück, muss man heute sagen. Denn sein Büchlein «Die christliche Baukunst auf dem Lande oder die neue Kirche von Ballwyl und wie sie geworden » (Einsiedeln 1852) hat Seltenheitswert.

Wie er selber feststellen musste, war bis dahin kaum je das Entstehen einer Dorfkirche lebendig beschrieben worden. Diese Lücke füllte Xaver Herzog mit seiner Erinnerungsschrift auf köstliche Art, bald belehrend, bald unterhaltend, oft weitschweifig, doch immer auch mit Humor gemischt und einem Schuss Polemik. Seine Ratschläge, wie man den Pfarrkindern das Geld für einen gute Sache aus dem Sack holt, lesen Baukommissionspräsidenten und Tombola-Chefs noch heute mit Gewinn. Der geistliche Bauherr, der selber auf das Gerüst stieg und mitunter auch Hand anlegte, liefert in seinem Beschrieb eine Unmenge wissenswerter Daten über die Vorbereitung und den Verlauf des Neubaus, über Gutachten, Reglemente,Verträge und Kosten.

Der Spenglermeister benötigt Urlaub

Die Wirren des Sonderbundskrieges hinterliessen ihre Spuren beim Kirchenbau in Ballwil. Unter anderem in Form von Verzögerungen, weil dringend benötigte Handwerker und Fronarbeiter vom Bauplatz weg in den aussichtslosen Kampf der Sonderbundstruppen gerufen wurden. Das ganze «Leitern» hinauf bis zum General bemühte sich die Gemeinde Ballwil um Beurlaubung des «accordierten» Spenglermeisters. Allen Unbilden, auch jenen des Wetters, zum Trotz konnte am 8. Dezember 1847, zwei Wochen nach der entscheidenden Niederlage des Sonderbundes im nahen Gisikon, die halbfertige Kirche mit ihren noch kahlen Wänden eingesegnet und von diesem Tag an als Gotteshaus benützt werden. Ausgerechnet Basel-Landschäftler Truppen der siegreichen eidgenössischen Armee, die in Ballwil einquartiert waren, hatten sich, ungeachtet politischer Gegensätze, zur Parade beim feierlichen Akt bereit erklärt.

Absage an den alten «Larifari-Styl»

Doch die Knappheit der Mittel und die politische Unrast der Zeit waren nicht die einzigen Hindernisse, die der baufreudige Pfarrer zu überwinden hatte. Seine Schilderung der architektonischen Planung und der Widerstände gegen das neuartige Projekt sind ganz besonders aufschlussreich. Der in jungen Jahren weitgereiste Xaver Herzog war eben nicht nur der stockkonservative Haudegen, als der er gerne der Nachwelt dargestellt wird. So suchte er für den Neubau in Ballwil nach neuen Ausdrucksformen, weil er vom herkömmlichen Luzerner Kirchenbauschema, das sich an die barocke Tradition der Gegenreformation anlehnte, nicht viel hielt. Er wetterte gegen den «Larifari-Styl» mancher Kirchen, die nach den fragwürdigen Vorbildern von St. Gallen, Solothurn oder Schwyz errichtet worden seien und seltsamerweise vom Volk so sehr bewundert würden. Für Pfarrer Herzog, der als Theologiestudent in Tübingen eine Idee von der deutschen Romantik mitbekommen hatte, war jetzt Rückbesinnung auf die frühchristliche und mittelalterliche Formensprache angesagt. Schliesslich wurde er fündig beim jungen bayrischen Architekten Johann Seidl, der zu dieser Zeit in Luzern und Altdorf tätig war und ihm einen weiträumigen klassizistischen Saalbau mit neubyzantinischen Elementen entwarf.

Das grosse Zittern vor dem Volk

Auf die Ballwiler mussten Seidls Pläne zunächst neu und fremd wirken. «Die Gemeinde Ballwyl, die freilich auch nicht ausser der Zeit steht und wie andere von dem Wahne befallen ist, die Gegenwart für das höchste zu halten, sie konnte sich nicht so leicht mit dem Gedanken befreunden, dass man nicht eine Kirche wie die andern, sondern eine fremdartige wähle», rapportiert der Pfarrer in seinem Baubericht. Er wusste auch nur zu gut, dass er ohne die Zustimmung der Mehrheit der Kirchgenossen nichts zu verrichten vermochte. Aus seiner Beklommenheit machte er (in der dritten Person) keinen Hehl: «Der Pfarrer hatte vor der Gemeinde offenbar Angst, sowohl wegen der ganzen Grösse des Unternehmens, als besonders an jenem Tage der Entscheidung, von welchem Alles abhing.»

Am Sonntag, 27. August 1846, war jener «Tag der Entscheidung» gekommen. Im Pfarrgottesdienst forderte Herzog «mit zitternder Stimme» das Volk auf, fünf Vaterunser zu beten, «um von Gott den rechten Geist zu erflehen». Die Kirchgemeindeversammlung verlief dann aber «in bester Ordnung», das Projekt von Seidl, das Herzog zuvor schon der Kommission schmackhaft zu machen verstanden hatte, fand einhellige Zustimmung. Bald konnte gebaut werden – am Standort der alten Kirche, die, mit Ausnahme des Turms, zuerst nach abgerissen werden musste.

«So ein Herr mit gewichsten Stiefelchen»

Die Skepsis gegen das neue Bauwerk war mit dem klaren Volksentscheid allerdings noch lange nicht ausgeräumt. Xaver Herzog widmet das letzte Kapitel seiner Schrift halbwegs verärgert und dennoch ironisch dem «Publikum», das während und nach dem Bau der Kirche offenbar nicht genug die Nase über den Architekten und sein Werk rümpfen konnte. Das Gerede begann schon, als die Steine herangekarrt wurden, und einige meinten, die reichten doch niemals aus für einen Kirchenbau. «Die Ballwyler wollen eine Kirche bauen, aber ihre Steine würde einer in einem Hute davon tragen», habe man am nächsten Wochenmarkt gewitzelt. Vom Architekten aus Straubing hiess es, «so ein Herr mit gewichsten Stiefelchen, wie der Seidl, werde eben vom Mauren nicht viel verstehen». Am schlimmsten ging aber die Volksmeinung mit dem Chortürmchen ins Gericht: «Was das hat leiden müssen vom ersten Tage an bis auf die heutige Stunde, dass ein Jesuit nur ein Narrenwerk dagegen ist», lamentiert der Pfarrer, um dann aber einzuräumen, «dass wir eigentlich gar kein Chorthürmchen gebraucht hätten». Nun, das umstrittene Objekt musste Jahrzehnte später einer neuen Ausführung weichen.

Kein weisses Fleckchen war mehr sicher

Das gleiche Schicksal, aber viel nachhaltiger, traf genau 60 Jahre nach dem Neubau das Innere der Kirche. Dort setzte man vor allem den Pinsel so gründlich an, dass die Sachverständigen später den Eingriff als komplette Entstellung brandmarkten. Kein weisses Fleckchen war mehr sicher vor der Übermalung. Ornament, Imitation und Blattgold, soweit das Auge reicht. Eine Kunsthandwerkerequipe des Basler Ateliers Rudolf Messmer führte die Dekorationsmalerei aus. Der damals recht bekannte Kunstmaler Josef Boss aus Bregenz malte fünf Deckengemälde auf Leinwand, die dann auf das Gewölbe aufgeklebt wurden. In der gehaltvollen Festschrift von 1976/77 schildert der betagte Josef Ebern (er starb noch vor Erscheinen der Schrift) sehr lebendig und amüsant die Erneuerungsarbeiten von 1907, die er als kleiner Ministrant aufmerksam mitverfolgte. Ballwil hatte nun eine bunte Kirche nach dem Geschmack der Zeit. Manchen Ballwilern schien sie zu gefallen, auch wenn sich der «alte Balbeler» darob im Grab umdrehen musste.

«Ballwil, ein Sitz der Wissenschaft und Musen»

Wie man in Ballwil zur Zeit der ersten Jahrhundertfeier über den Kirchenbau dachte, ist nicht so leicht auszumachen. Hauptsache, man feierte. Und wie. Ein Aufgebot an Prominenz sondergleichen stellte sich am 12. September 1948 zu Festgottesdienst und Festakt ein. In einer Sonderbeilage des «Seethaler Boten» skizzierte Joseph Bühlmann, damals junger Student, die Geschichte der Gemeinde, Pfarrei und Pfarrkirche Ballwil wie auch ein Lebensbild von Pfarrer Herzog. Er erwähnt dabei auch dessen «unbegreifliche Abneigung gegen den Stil der vorhergehenden Jahrhunderte, den Barock». Die vom Architekten Seidl angestrebte Nachahmung der altchristlichen Basilika mit modernen Mitteln sei in Ballwil indessen «schlecht gelungen, so dass vom Basilikastil nicht mehr viel zu sehen ist» (wozu die Übermalung und Umgestaltung von 1907 massgeblich beigetragen haben dürfte).

Im Mittelpunkt des Gedenkens von 1948 stand aber weniger das Bauwerk als vielmehr dessen Initiant, Xaver Herzog, der «alte Balbeler». Zu seiner Ehren wurde bei dieser Gelegenheit ein kleines Denkmal mit Brunnen eingeweiht. Seine Person und sein Wirken würdigte Professor Josef Vital Kopp, ein blitzgescheiter Theologe, Gymnasiallehrer und Schriftsteller, der auch heute noch einen guten Platz in der literarischen Ahnengalerie dieses Kantons hat. Die Festpredigt hielt der aus Ballwil stammende Professor Burkhard Frischkopf, dem Festgottesdienst stand der Stiftspropst von St.Leodegar (damals noch «Seine Gnaden») vor, Franz Alfred Herzog, auch er ein Poet. Er hatte für diesen Tag eigens einen hübschen Prolog verfasst, der, laut «Vaterland» vom 15. September 1948, «von Jungfrauen, Jungmännern und Schulkindern schön und gut vorgetragen » wurde. Die ersten Verse waren zum Schmunzeln wie gemacht:

Nicht Weltstadt ist Ballwil. Auf Atlaskarten
darf man sein kleines Ringlein nicht erwarten,
und wenn die Neugier nach dem Wo dich fragt,
antworte nur ganz kühn und unverzagt:
Ballwil, ein Sitz der Wissenschaft und Musen,
liegt zwischen Gerligen und Ottenhusen…

Auch Heiner Gautschy feiert mit

Noch mehr Aufsehen als die versammelte Prominenz erregte an diesem Festtag im Dorf jedoch der Reportagewagen des Radiostudios Basel, der um die Mittagszeit in Ballwil eingetroffen war, um Ausschnitte aus den Darbietungen aufzunehmen. Die Musikgesellschaft, der Männerchor und der Kirchenchor gaben ihr Bestes, um via Ätherwellen in der halben Schweiz einen guten Eindruck zu machen. Die Radioleute wurden ebenfalls zum Bankett geladen. Sie langten tapfer zu und amüsierten sich göttlich am dörflichkatholischen Fest. Ihre Sendung soll dann allerdings nicht überall nur Freude bereitet haben, weiss ein Augen- und Ohrenzeuge von damals zu berichten. Einige Stellen der Festrede von Josef Vital Kopp, worin er Kritik an der kirchlichen Obrigkeit übte, seien vom Radio mit «künstlichem Applaus» angereichert worden. Für die Reportage zeichnete übrigens ein gewisser Heiner Gautschy verantwortlich, der später über Jahrzehnte einer der bekanntesten und fähigsten Köpfe des Schweizer Radios war.

Ein Baudenkmal von hohem Rang

Nach dem Fest kam wieder der Alltag, und mit ihm auch die Abnützung, die jedem Bauwerk zu schaffen macht. Zu Beginn der sechziger Jahre wurde die Renovation erneut ein Thema. Renovation, Neubau oder Umbau – auf diese grundlegende Entscheidung lief die Diskussion bald einmal hinaus, die dann zu Beginn der siebziger Jahre die Wogen der Meinungskämpfe hochgehen liess. Gleichzeitig hatte sich aber auch im Verständnis der Baukunst des 19. Jahrhunderts ein Umdenken angebahnt. Am 21. Juni 1966 wurde die Pfarrkirche Ballwil samt ihrer Ausstattung in das Verzeichnis der schützenswerten Kunstdenkmäler aufgenommen. Der Denkmalschutz gab denn auch einige Jahre später den Ausschlag dafür, dass sich Ballwil für eine grundlegende, am Original sich orientierende Restauration durch Spezialisten auf diesem Gebiet, die Luzerner Architekten Moritz Raeber und Günther Zimmermann, entschied.

Wie es im Einzelnen dazu kam, ist eine Geschichte für sich. Halten wir hier nur soviel fest: Am 8. Dezember 1977, exakt 130 Jahre nach der Einsegnung des Neubaus, konnte Bischof Otto Wüst die restaurierte Pfarrkirche Ballwil einsegnen und den neuen Altar weihen. Das vollendete Werk löste nicht nur beim Volk, sondern auch in er Fachwelt viel positives Echo aus. «Wer heute die neurestaurierte Pfarrkirche von Ballwil betritt, wird überrascht feststellen, dass sie eine unerwartet grosse künstlerische Eigenständigkeit ausstrahlt», urteilte der damalige Denkmalpfleger des Kantons Luzern, Andre Meyer, und rundete sein schönes Kompliment ab mit der Feststellung: «Im Vergleich mit andern Kirchen des 19. Jahrhunderts setzt jene von Ballwil einen einzigartigen Höhepunkt.» Mit diesem Lob im Kopf darf sich Ballwil getrost ans 150-Jahr-Jubiläum seiner Pfarrkirche heranwagen.

*Hans Moos (geboren 1944) war nach einem Rechtsstudium und ersten Berufsjahren in der Bundesverwaltung Redaktor beim «Vaterland», der «Luzerner Zeitung» und «Neuen Luzerner Zeitung», später Persönlicher Mitarbeiter eines Regierungsrats und von 2001 bis 2012 Gemeindepräsident von Ballwil, wo er mit seiner Familie seit 1985 lebt.

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