Unheimlich Brandserie: Wie Paul Nussbaumer den Beitrag über die Brandserie illustrierte. | © Seetaler Brattig 1985

Vom Juli 1980 bis Februar 1982 brannte es im Luzerner zwanzigmal. 10 Brandanschläge erfolgten im Winte r 1982 innerhalb von sechs Wochen. Die in Brand gesteckten Gebäude gehörten allesamt Landwirten. Angst und Verdächtigungen machten sich breit. Panik drohte auszubrechen.

*Erwin Koch, Hitzkirch

Gross war der Schrecken heute Nacht. Flammen fauchen aus der alten Scheune von Nationalrat Jung, und weitherum im Tal weiss jetzt jeder, dass der Brandstifter auf den Hof Oeggenringen zurückgekehrt ist, um sein gemeines Werk zu vollenden. Gierig verschlingt das Feuer das Heu. Es nagt an den Balken, bis sie verkohlen und krachen. Ziegel stürzen zischend ins kalte, nasse Gras. Es ist der 6. Januar, das Fest der Heiligen Drei Könige.

Nationalrat Jung ist in der Stadt an der Sitzung der Landwirtschafts- und Gewerbeausstellung. Dort erreicht ihn die Nachricht, dass seine brennende Scheune die vor zwei Tagen bereits einmal im Rauch stand, diese Nacht nicht überstehen wird. Der Nationalrat setzt sich ins Auto, rast nach Eschenbach, findet seine Kinder weinend vor Angst. Pfeifend verbrennen die Kaninchen. Frau Rita, der Lehrbub und einige Feuerwehrleute stossen und zerren die brüllenden Kühe aus dem Stall und den aufgeregten Muni, den sie am Apfelbaum festbinden. Die Kälber müssen getragen werden. Jemand fährt den Traktor auf die Wiese. Dann stürzt das halbe Dach in die Tenne und begräbt die Häckselmaschine, das Heugebläse. Feuerstaub wirbelt durch die Luft. Das Atmen ist schwer.

Die Feuerwehren von Eschenbach und Ballwil schützen den Futtersilo und den Schopf. Aus zehn Rohren spritzen sie Wasser in die Glut. Dampf zischt. Die Augen sind weit und gerötet. Jemand fährt die fünf Kinder zu Verwandten ins Dorf hinunter. Polizeihunde kreisen um den Hof.

Lehrbub Tonis Beobachtung

Zwei Tage zuvor, am Montag, 4. Januar, kurz vor sieben Uhr, war Xaver Buholzer, Dachdeckermeister, Gemeindepräsident und Feuerwehrkommandant von Eschenbach, in der Küche beim Nachtessen gesessen, als das Telefon ohne Unterlass zu schellen begonnen hatte. Es brannte irgendwo. Nationalrat Jung meldete am Apparat, dass seine Scheune im Rauch stehe. Der Feuerwehrkommandant gebot seiner Frau, die Mannschaft zu alarmieren, zog sich Helm und Brandschutzjacke über und rannte aus dem Haus. So war er einer der ersten, die auf Oeggenringen eintrafen, und er erkannte rasch, dass der Brand wohl viel Rauch abgab, im übrigen aber klein und harmlos war. In der Tat hatte der Nationalrat, selber Pikettsoldat der Eschenbacher Feuerwehr, die Flammen in der Zwischenzeit mit Staublöschern erstickt. Alle waren schliesslich froh, dass der Schaden gering blieb, und jeder war dankbar dafür, dass viel Glück einen Grossbrand verhindert hatte. Gegen neun Uhr gab der Statthalter des Amtes Hochdorf, Hermann Büttiker, der auf dem schnellsten Weg herbeigeeilt war, der örtlichen Presse bekannt, dass aller Wahrscheinlichkeit nach eine Brandstiftung vorliege. Und Nationalrat Jung fügte bei, dass sein Lehrbub Toni beim Heurüsten zwar die Schritte eines Fremden gehört, einen solchen aber nicht gesehen habe. Als es zu tagen begann, witterte ein Polizeihund eine Spur, die er im Chreiebühlwäldli aber wieder verlor.

Xaver Buholzer kam gegen ein Uhr ins Bett. Am nächsten Abend, es war Dienstag, erschrak er, als das Feuertelefon schon wieder zu läuten begann. In Ballwil brannte ein Haufen Holz, der eng an eine Scheune gestapelt war. Buholzer, der zusammen mit dem «Rössli»-Wirt die Feuermeldestelle auch für die Gemeinden Ballwil und Inwil betreute, alarmierte die Ballwiler Feuerwehr, die mit ihrem neuen Tanklöschfahrzeug ausrückte und das Feuer löschte, bevor es auf den Stall übergreifen konnte.

«Unsere Scheune brennt lichterloh»

Xaver Buholzer war seit 18 Jahren Feuerwehrkommandant. Viel Gutes und viel Schlechtes hatte er erlebt in dieser Zeit. Dann kam eben dieser 6. Januar, ein Mittwoch. Buholzer sass wieder in der Küche beim Nachtessen. Und wieder Alarm. Die Tochter von Nationalrat Jung schreit durchs Telefon: «Unsere Scheune brennt lichterloh.» Buholzer stürmt ins Treppenhaus. Durch das Fenster sieht er, wie eine riesige, rote Kuppel über Oeggenringen glüht, und da weiss er gleich, dass diesmal nichts mehr zu retten ist. Seine Frau drückt zitternd die Feuertaste, alarmiert die Mannschaft, eine Gruppe nach der andern, zuerst die Offiziere. Mit 80 Männern kämpft Buholzer gegen den Brand. Gross war der Schrecken jener Nacht, als die Scheune von Nationalrat Jung zum zweitenmal angezündet wurde. Als der Morgen kam, stiegen unschuldige weisse Rauchfähnchen aus der Ruine.

In den zwei folgenden Tagen erinnerten die Luzerner Tageszeitungen daran, dass im Zeitraum der vergangenen anderthalb Jahre im Gebiet von Eschenbach und Ballwil rund zehn Brände gelegt worden seien, für die eine Täterschaft nie ausfindig gemacht werden konnte. Und gleichsam im Chor stimmten «Vaterland», «Luzerner Neuste Nachrichten», «Luzerner Tagblatt» und auch der «Seetaler Bote» überein, das «nicht vermutet werden muss, dieser Brandanschlag sollte die Person von Franz Jung treffen» («Seetaler Bote» 1/82). Doch in Eschenbach raunte mancher, es sei nicht mehr als logisch, wenn ein so senkrechter Mann wie der Franz Jung halt um Gottes Willen auch einen langen Schatten werfe, der dem einen oder andern in den Pflanzplätz falle. Für Amtsstatthalter Büttiker war aber im Gegenteil klar, dass ein Pyromane «in der Gegend sein Unwesen trieb». Die Polizei wandte sich an die Bevölkerung, pries alle scharfen Wachhunde, warnte vor jedem Fremden, mahnte zur Vorsicht und lud alle ein, Hinweise, die im Zusammenhang mit den Brandanschlägen von Interesse sein könnten, an die Kantonspolizei Luzern oder an den nächsten Polizeiposten zu richten. Wer sah jemanden mit auffallend schmutzigen Schuhen und Hosen?

Familie Bühlmanns Schicksal

Im gleichen Mass, in dem die Fahnder ihre nächtlichen Streifen erhöhten, nahm die Unsicherheit der Bauern zu. Nachts liessen sie in ihren Ställen und Scheunen die Lichter brennen und hofften so, den Brandstifter zu täuschen. Einige von ihnen stiegen zur Schlafenszeit mehrmals aus dem Bett, begingen den Hof, kontrollierten behutsam Einfahr und Heustock. So vergingen also drei Wochen. Nichts Schreckliches geschah mehr im Luzerner Seetal, die Wirte bereiteten ihre Maskenbälle vor, und machen dünkte es, man habe um die Brände bei Nationalrat Jung vielleicht im ersten Schreck doch zuviel Aufhebens gemacht.

Als Erwin Bühlmann am Mittwoch, 27. Januar, an einem nebligen Tag, abends zehn Minuten nach sieben Uhr nach Gibelflüh in das Haus seiner Eltern zurückkam und, wie gewohnt, die Küche durch den Schopf betrat, fiel ihm auf, dass es so eigenartig nach Benzin oder Öl roch. Er setzte sich dann mit seinen Eltern und Geschwistern trotzdem in die Stube an den Tisch, und während des Essens berieten sie den Grund für den Gestank im Schopf. Beatrice, die Tochter, stand schliesslich auf, ging in den Schopf und fand entgegen ihrer Vermutung den durchsichtigen Benzinschlauch an ihrem Töffli gut zugedreht. Sie kehrte an den Tisch zurück und setzte sich. Da ging im Stübli das Licht aus, der Fernseher stellte ab, und Erwin schreit: «Jesus, es brennt.» Durch das Fenster in der Küche sieht er gelbe Flammen aus dem Dach des Schopfes schiessen. Erwin rennt ans Telefon, wählt die Nummer 118. Xaver Buholzer, der die Feuermeldestelle betreut, sitzt beim Nachtessen, als ihn der Alarm erreicht. Frau Bühlmann rennt in den ersten Stock, kramt die wichtigsten Papiere aus der Kommode, wirft die neuen Bettdecken aus dem Fenster. Ein Nachbar bringt den Gartenschlauch, ein anderer den Feuerlöscher. Der Schopf brennt lichterloh.

Wieso hat der Hund nicht angegeben? Bauer Bühlmann treibt die Schweine in den Schnee hinaus. Und Beatrice, die Sechzehnjährige, sieht, wie die Flammen beinahe zärtlich das Wohnhaus lecken, dann immer zudringlicher werden, in den Estrich eindringen. Sie wird ohnmächtig. Die Seetal-Ambulanz fährt sie nach Luzern ins Spital. Die Ballwiler und Eschenbacher Feuerwehren treffen ein. Wenig bleibt zu retten. Die oberen Geschosse des Wohnhauses stehen bereits in Flammen. Thomas, dem jüngeren Sohn, fällt ein Ziegel auf den Kopf.

Die Ambulanz kommt wieder. Die Polizei ist da, fotografiert diskret die roten Gesichter der gaffenden Zuschauer. Jemand will bei Brandausbruch ein Auto mit Obwaldner Nummer Richtung Fenkrieden davonrasen gesehen haben. Die Polizei braust hinterher. Hunde bellen unruhig. Vor zweieinhalb Jahren, auf den Tag genau, brannte Bühlmanns Scheune ab. Heustockübergärung.

Als das Feuer gelöscht war, Haus und Schopf zerstört, konnten die Ballwiler Feuerwehrmänner, die als Brandwache zurückblieben, den Bauern Thomas Bühlmann nur mit grosser Mühe davon abbringen, den kurzen Rest der Nacht aus Angst vor einem Anschlag auf die neue Scheune im Heustock zu verbringen. Noch bevor die Briefträger am Morgen die Zeitungen in die Häuser brachten, wussten im Seetal die meisten, dass es letzte Nacht wieder gebrannt hatte. Schnöder Spott ergoss sich über jene, die während der letzten Wochen in den Wirtschaften ständig von Versicherungsbetrug, Übertreibungen und Hysterie und davon gesprochen hatten, der Jung Franz und überhaupt jeder Bauer wisse wohl am besten, wieso seine Scheune angezündet werde. Zorn, Schwermut, Angst und die Gewissheit, dass der Brandstifter jetzt selbst vor Wohnhäusern nicht mehr zurückschreckte, lagen in den Dörfern. Das «Luzerner Tagblatt» überschrieb seinen Bericht mit dem Satz: «Hund liess den Brandstifter ungestört» und zitierte anschliessend einen Sohn der Familie Bühlmann: «Unser ‹Bär›, ein Wolfsschäfer, ist sonst ein scharfer Hund. Uns fiel nun nachträglich auf, dass er den ganzen Tag nichts gefressen hatte. Möglicherweise also hat ihm jemand etwas verabreicht.»

Eine Woche nach dem Verlust ihres Wohnhauses erhielten Thomas Bühlmann und seine Nachbarn, die Jennis, die Fleischlis, ja schier ganz Gibelflüh, hässliche, von Hand geschriebene Briefe, die in Baldegg abgestempelt worden waren und den Empfängern mitteilten, dass ihre Scheunen bald nur noch aus schwarzer Asche bestehen würden. Die Polizei schickte die Briefe, die alle gleich aussahen, zur Untersuchung nach Zürich und bat die Gibelflüher, über die wüsten Schreiben zu schweigen.

Spinner und Wahrsager

Es wurde Freitag, 29. anuar. Xaver Buholzer sass mit seinen Kollegen vom Gemeinderat im Sitzungszimmer des Gemeindehauses. Er hatte sich vor Monaten entschlossen, zuerst das Kommando der Eschenbacher Feuerwehr in jüngere Hände zu legen, später auch sein politisches Amt, und also war abgemacht, dass er morgen Samstag, den 30. Januar, aus der Feuerwehr austreten werde. Leid tat es ihm nicht, denn die letzte Zeit war hart gewesen. Die vergangenen drei Wochen war er mehrmals selber im Auto durch die Felder und Wälder gefahren, um die Höfe zu bewachen. Und erst vor vier oder fünf Tagen rief ihn so ein Spinner aus den Ländern an, morgen abend werde es in Inwil bei der Kreuzung Oberhofen brennen, er, der Anrufer, sei nämlich Wahrsager, und das Pendel habe auf der Strassenkreuzung just über Oberhofen ausgeschlagen.

Der rote Renault 4

Die Sitzung ging gut voran. Um Viertel nach fünf Uhr rief Frau Buholzer an und meldete ihrem Mann aufgeregt, es sei Alarm, die Scheune vom Sigrist Hubert in der Mettlen stehe total im Rauch. Die fünf Gemeinderäte sahen durch das Fenster des Sitzungszimmers, wie der Wind über der Mettlen eine grauweisse Rauchsäule Richtung Pilatus krümmte. Als die Inwiler und Eschenbacher Feuerwehren in der Mettlen eintreffen, sind die vierzig Kühe, die Gusti und Pferde bereits aus der Scheune getrieben. Rasch werden die Leitungen gelegt, die Gasschutztruppe eilt durch das Einfahr auf die Heubühne.

Bauer Sigrist hat Glück. Das Feuer breitet sich nicht aus, das Heu ist zu feucht. Der Brand ist bald bezwungen. Ein Feuerwehrmann findet einen Blechkübel und ein Briefchen Zündhölzchen. Die Männer beginnen damit, das verbrannte und angesengte Futter vorsichtig aus der Scheune zu tragen. Alles stinkt und mottet. Xaver Buholzer schickt einen Teil seiner Leute, die Bauern, nach Hause, damit sie ihre Höfe bewachen.

Wer hat einen roten Renault 4 ohne Nummernschilder gesehen? Vorhin stand doch dort neben der Scheune ein roter Renault 4. Plötzliche Aufregung. Polizeihunde schnüffeln durch die Wiesen.

Xaver Buholzer war müde: Er fühlt keine Kraft mehr in seinem Körper, die trockenen Augen brannten. «Geh nach Hause, Xaver, wir passen schon auf», sprachen die Kameraden, «wir hätten dir sowieso einen besseren Abgang aus der Feuerwehr gewünscht.»

Alarm. Das Feuertelefon schellt. Im Schachen brennt ein Stall. Die Feuerwehr Buchrain ruft die Eschenbacher um Hilfe. Frau Buholzer zittert. Sie drückt die Feuertaste und alarmiert 20 Leute der Eschenbacher Mannschaft. Einige fahren von der Mettlen direkt in den Schachen. Der Schafstall ist voll Heu und. Stroh. Die Tiere aber sind gerettet. Wasser spritzt in hohen Bögen. Kalte Hände umklammern fünf kalte Rohre. Steife, schmerzende Finger hantieren langsam am Tanklöschfahrzeug. Man schreit, man flucht. Und plötzlich ruft einer: «Hier brennt es ja auch.»

Zwei Steinwürfe entfernt glimmt unter einem Pferdestall ein Heuballen. Jemand verspricht mit heiserer Stimme, diesen elenden und feigen Brandstifter, wie einen alten Chüngel zu Tode zu werfen, wenn er ihm je zwischen die Finger kommen sollte.

Gegen drei Uhr in der Nacht sind die Flammen erloschen. Die Schafe blöken blöd und ängstlich. Und erst jetzt erfahren alle Männer, dass der Brandstifter vor zweieinhalb Stunden versuchte, in Hochdorf die Sagenbach-Scheune anzuzünden. Den Hochdorfern aber sei es gelungen, den Brand im Keim zu ersticken. Die kantonale Gebäudeversicherung versprach noch am gleichen Tag, Hinweise, die zur Ermittlung des Brandstifters führten, mit zehntausend Franken zu belohnen.

Die Unterebersoler organisieren sich

Lange würde das so nicht gehen, dachte der Bauer Otti Thali, diese Angst würde sie alle kaputtmachen. Oft stand er in der Nacht auf, zog sich an, packte die Taschenlampe und rannte über die Strasse zur Scheune, fragte, als ob dieser ihn verstehen könnte, Bless, den bellenden Entlebucher Baster, was denn schon wieder los sei. Ist jetzt bloss ein Töffli vorbeigefahren, oder schleicht einer um den Hof? Oder ist vielleicht der Nachbar erst nach Hause gekommen? Lange würde das so nicht gehen.

Otti Thali wollte handeln. Schliesslich besassen die meisten Bauern in Unterebersol Frau und Kinder und einen eigenen Hof. Er rief deshalb die Mitglieder der Käsereigenossenschaft an und fragte sie, ob sie bei einer Nachtwache mitmachen würden. Keiner sagte Nein, und so trafen sie, wie es die meisten von ihnen vom Ebersoler Männerchörli her gewohnt waren, beim neuen Vieharzt in der Schärrüti zusammen, um einen Plan zu machen.

Auch Hans Leu, der Oberrichter, Albin Gisler, der Eisenwarenhändler, und Willy Odermatt, der Abteilungsleiter, waren dabei. Der Leisibach brachte seinen Meisterknecht mit. So waren sie schliesslich 16 Männer aus Unterebersol, die sich in vier Gruppen aufteilten. Jede Gruppe sollte eine Nacht lang den Weiler bewachen, zwei Männer von acht Uhr abends bis um ein Uhr in der Nacht, zwei andere von ein Uhr bis zur Melkzeit um fünf Uhr. Der Leisibach bot den Keller des Hauses als Wachbüro an. An Kuchen, Kaffee und Schnaps solle es dann öppe nicht fehlen.

Am Samstagmorgen, es war der 30. Januar, begannen pünktlich fünf Minuten vor neun Uhr die Glocken der Eschenbacher Kirche zu läuten. Sie luden die Männer von der Feuerwehr, die bis in alle Nacht hinein im Schachen unten im Einsatz gestanden hatten, zur Agatha-Feier. Zwar legt der Kirchenkalender den Agatha-Tag auf den 5. Februar, man hatte das Fest aber dessen ungeachtet auf heute Samstag vorgezogen. Um neun Uhr begann Pfarr-Resignat Otto Ineichen die heilige Messe. Die Feuerwehrleute waren vollzählig in die Kirche gekommen. Mit müden Gesichtern sassen sie in den polierten Bänken. Xaver Buholzer, der heute sein Kommando abgeben sollte, nickte für wenige Minuten ein.

Die Eschenbacher Schwestern beten

Schwester Imelda, die Sakristanin, hatte schon vor Wochen, als die Sache mit dem Brandstifter anfing, das Bild der heiligen Agatha aus der Sakristei in die Kirche getragen, es neben den Seitenaltar des heiligen Jakobus, des Apostels, gestellt und seither mit ständiger Sorge darauf geachtet, dass die rote Kerze, die sie vor dem Bildnis angezündet hatte, nie ausging. Der Pfarr-Resignat bat die heilige Agatha um Schutz von Mensch, Hab und Gut vor Feuer, Unwetter und Bresten. Dann betete er zu Gott, dass wieder Ruhe und Ordnung ins Land ziehen mögen, dass der Brandstifter das Frevelhafte seiner Tat einsehen wolle, dass man seiner bald habhaft werde.

Nach jeder Fürbitte sprachen die Männer im Chor: «Wir bitten Dich, erhöre uns.» Darauf schritten sie zur heiligen Kommunion. Kurz vor zehn Uhr entliess der Priester die Feuerwehr mit dem Gruss: «Wer die Meinung hat, dass die Heiligen dazu da seien, uns alle Mühe abzunehmen und alle Gefahr von uns abzuwenden, hat sicher eine falsche Vorstellung von denen, die uns Vorbild sein sollen. Erst wenn wir alles tun und das Unmögliche Gott überlassen, können wir auf Hilfe hoffen. Dazu segne euch der allmächtige Vater, der Sohn, der Heilige Geist. Geht hin in Frieden.»

Durchhalteparolen

im «Rössli» begann nun der weltliche Teil der Agatha-Feier. Xaver Buholzer begrüsste seine Männer, den Gemeinderat und besonders auch Nationalrat Franz Jung. Er dankte den Offizieren, Unteroffizieren und Soldaten, zollte allen für ihre grossartigen Leistungen hohe Anerkennung und legte dann Rechenschaft ab über, die Tätigkeit der Feuerwehr während des vergangenen Jahres. Anschliessend würdigte Gemeindevizepräsident Josef Amrein die grossen Verdienste des scheidenden Kommandanten. Um zwölf Uhr liess der «Rössli»-Wirt das Mittagessen in den Saal bringen. Die Männer tranken Most und Bier. Sie sprachen nicht laut. Die frohe Stimmung, die jeder von früher kannte, kam nicht auf. Keiner wollte heute jassen. Sie waren müde, wollten schlafen. Und ständig lähmte der Gedanke an den Brandstifter ihre Tischgespräche. Man verabschiedete sich, ging heim.

Xaver Buholzer und sein Nachfolger trafen sich währenddessen mit anderen Feuerwehrkommandanten des Luzerner Seetals, die der kantonale Feuerwehrinspektor allesamt für heute nachmittag nach Eschenbach bestellt hatte, um, wie er ihnen gestand, sich in diesen Zeiten der rohen Herausforderung moralisch zu stärken. Er bat, weiter durchzuhalten, wachsam zu bleiben, lobte den Einsatz, machte Mut und forderte die Feuerwehren auf, sich im Kampf gegen die Brände mehr denn je beizustehen. Um drei Uhr war der «Rössli»-Saal leer. Die Serviertöchter räumten Teller und Gläser weg. Die Luft roch nach «Villiger-Export». «Ob es heute wieder brennt?», murmelte die Wirtin.

Um Viertel nach fünf Uhr am Sonntagmorgen kam der Alarm. Feuer in der Sägerei Honauer in Ballwil. Die Ballwiler rückten aus, doch junge Männer, die gerade von einem Fest zurückgekehrt waren und den Brand gerochen hatten, hatten die Flammen bereits gelöscht. Der Sonntag ging vorüber, und am Abend um halb elf Uhr läutete bei der Polizei in Ebikon das Feuertelefon. «Die ‹Sonne› brennt», meldet einer und hängt den Hörer wieder in die Gabel. Die Polizisten, stutzig schon aus Berufsinteresse, rufen den ‹Sonne›-Wirt an. Nein, er wisse gar nichts, da habe wohl einer das Kalb gemacht. Die Polizei schickt trotzdem zwei Beamte vorbei, um die Gäste zu befragen, wer den Fehlalarm ausgelöst habe. Man ist sich bald einig. Es könnte der junge Mann gewesen sein, der das Wirtshaus vor einiger Zeit verlassen habe. Verärgert und nervös suchen die Beamten den Burschen im Dorf. Sie finden ihn nicht.

Der seltsame Jogger

Eine Viertelstunde vor Mitternacht wieder Alarm. Es brennt jetzt wirklich. Die Hofmattscheune steht in gelbem Rauch, der zwischen den Ziegeln hervorquillt und senkrecht in den Himmel steigt. Plötzlich entdecken die Polizisten unter den Zuschauern den betrunkenen Burschen. Sie packen ihn, er wehrt sich kaum, und bringen ihn nach Luzern. Ein Teil seiner Kopfhaare ist gekraust, leicht versengt, und eine Hand ist rötlich. Noch in dieser Nacht gesteht der junge Mann, die Hofmatt-Scheune mit einem Feuerzeug in Brand gesteckt zu haben. Und vorgestern auch den Schafstall in Buchrain. Und den Heuballen unter dem Pferdestall. Aber mehr nicht. Ehrenwort. Mehr nicht. Er war nicht der Feuerleger, den das Seetal seit Monaten sucht.

Die Enttäuschung der Bauern, die am Montag, den 1. Februar, gehört hatten, der Brandstifter sei erwischt worden, war gross, als die Zeitungen am Dienstag berichteten, dieser Siebzehnjährige sei als Täter bloss für zwei von 19 Bränden verantwortlich. Das «Luzerner Tagblatt» nannte ihn einen Nachahmungstäter. Die Angst der Bauern nahm also kein Ende. Die Bevölkerung litt mit ihnen.

Der Mond schien hell, das gefrorene Gras knisterte bei jedem Schritt. Der Unterebersoler Bauer Otti Thali steckte seine linke Hand tief in den Militärkaput, mit der rechten hielt er die Leine von Bless, dem Hofhund. Heute nacht war Thali an der Reihe, von acht bis ein Uhr, zusammen mit dem neuen Vieharzt, Dr. Koch. Er ging durch die Wiesen südlich der Strasse, die nach Hohenrain führt, blieb manchmal stehen, horchte, hörte nur den Wind, ging weiter und kehrte schliesslich auf den Weg zurück. Angst hatte er keine. Es gab zwar schon solche, das wusste er, die, wenn sie auf ihrer Runde waren, es mit der Furcht zu tun hatten. Einer bewachte die Höfe nur aus dem verriegelten Auto heraus, zwei andere gingen nur zu Ross, und ein Vierter verheimlichte keinem, dass er einen Revolver in der Tasche trug. Was konnte ihm schon passieren? Die Frauen und Kinder konnten wenigstens wieder schlafen, seitdem jede Nacht vier Unterebersoler Männer durch ihren Weiler schlichen.

Plötzlich hört Thali von oben vom Wäldchen her, vielleicht 300 Meter liegen dazwischen, ein Auto hupen. Da ist etwas falsch, denkt er, rennt mit Bless die Wiese hinauf, leuchtet mit der. Taschenlampe vor sich her. Gerade wie er die kleine Ebene erreicht, die sich vor dem Wäldchen auftut, rennt ein Mann aus dem Wald. Thali ruft: «Wasch los? Warum so pressant?» Doch der Mann dreht sich nicht um und rennt weiter. Thali leuchtet ihm hinterher, entdeckt nach 50 Metern ein Auto, abgeschlossen, rückwärts ins Gestrüpp gefahren. Was will der hier? Es ist doch Sonntag heute und bald Mitternacht.

Der Bauer steigt den Hügel hinunter, eilt in sein Wohnhaus, um im Verzeichnis der Luzerner Kontrollschilder den Halter des Wagens herauszufinden. Das Auto gehört einem aus dem Napfgebiet. Was will der in Unterebersol? Das sind doch schier 50 Kilometer von hier? Jetzt aber rasch. Thali sucht Dr. Koch. Er findet ihn. Beide fahren in den Wald. Dann geht Thali nach Hause, ruft die Polizei in Hochdorf an, und Dr. Koch bewacht das Auto. Der Bauer verspricht dem Beamten am Telefon, auf der Strasse nach Hohenrain zu warten, damit er das Wäldchen, welches er meine, sofort finde. Und wie Otti Thali so wartet, läuft ihm auf dem Trottoir der unbekannte Mann entgegen. Er trägt eine dünne Jacke und Halbschuhe.

Wieso er ihm vorhin keine Antwort gegeben habe, fragte der Unterebersoler erregt und leuchtete dem andern ins Gesicht. Dieser, heftig schnaufend, meint, er habe eben vor dem Schlafengehen noch ein bisschen joggen wollen. Die Polizei traf nach einer Viertelstunde ein, schrieb den Namen des Mannes auf, untersuchte das Auto, fand aber nichts. Er solle morgen auf den Posten kommen.

Otto Thali und Dr. Koch, die beide geglaubt hatten, in dieser Sonntagsnacht einen grossen Fisch, so drückten sich die beiden aus, im Netz zu haben, lachten leise über sich, als ihnen ein Hochdorfer Polizeibeamter nach einigen Tagen erzählte, der Mann komme als Brandstifter partout nicht in Frage.

Alles ist verdächtig

Im Seetal war in diesen Tagen alles verdächtig, was auffiel, was sich veränderte. Amtsstatthalter Büttiker betonte zwar, der Brandstifter müsse nach der Beurteilung des Spurenmaterials mit grösster Wahrscheinlichkeit aus dem landwirtschaftlichen Bereich stammen, geistig eher angeschlagen, kaum älter als fünfzig Jahre und nicht kleiner als hundertsiebzig Zentimeter sein. Nachts fuhren die Polizisten über steinige Feldwege, während des Tages überwachten sie die Strassen nach Luzern, ins Freiamt und ins untere Seetal.

Viele fürchteten die Dunkelheit, waren froh, wenn der Morgen kam, riefen die Polizei lieber einmal zuviel als zuwenig. Längst war es kein Geheimnis mehr, dass auf einzelnen Höfen Flinten und Sturmgewehre geladen im Kleiderkasten standen. Der Unwille wuchs mit jeder Nacht. Die Polizisten, selber ungeduldig und erregt, fühlten den Missmut der Leute, und sie ahnten bald, dass das Vertrauen in ihre irdischen Methoden im Schwinden war. Aber die Zisterzienserinnen vom Kloster Eschenbach, die jeden Abend in der Komplet Gott und die Schutzengel um Schutz und Schirm für alle Christen baten, übernahmen in zunehmendem Masse die Gebetsanliegen der Bauern. Ein Telefon an Mutter Äbtissin genügte, um sich ins tägliche Gebet der Schwestern zu empfehlen.

Es war schon Samstag, 13. Februar geworden, als der Bauer Walter Seiler vom Fastnachtsabend der Pfarrei etwa um zwei Uhr nachts auf dem Unteren Grundhof in Emmen zurückkehrte. Er schaute noch schnell in den Stall und ins Einfahrt, bemerkte nichts Besonderes und ging zu Bett. Anderthalb Stunden später schreit ihn jemand aus dem Schlaf. Er öffnet die Türe seines Hauses, das neben der Scheune steht, und blickt in zuckende Flammen, die aus dem Heustock lodern. Fünf junge Männer, die in ihren Autos den Brand entdeckt hatten, sind schon daran, die Kühe aus dem Stall zu treiben. Die Emmer Feuerwehr ist alarmiert, doch die Scheune brennt aus. Die Polizei sperrt sofort die Strasse nach Hochdorf und überprüft alle Autofahrer. Ein Brandstifter ist nicht dabei.

Kein Ende

Das war der 20. Brand in den letzten zwei Jahren. Wie und wann soll das ein Ende nehmen? Wer kann helfen? Der Kommandant der Luzerner Kriminalpolizei gab der Presse bekannt, es sei zu befürchten, dass wieder etwas passiere, bevor die Täterschaft erwischt werden könne. Im übrigen sei es durchaus möglich, dass es sich bei dem Täter um einen unbescholtenen Mann handle, der keine Spuren hinterlasse und eigentlich nur in flagranti gefasst werden könne. Die Bauern schimpften ungeduldig. Am Montag sassen sie auf den Bäumen und schnitten die Äste zurück oder fuhren Gülle auf die Wiese. Grauer Nebel füllte das Tal. Es war eine traurige Zeit.

Plötzlich geht das Gerücht um, jemand habe beim Brand in Emmen die Autonummer des Brandstifters ablesen können. Doch das sind nur Gerüchte. Bis die Tageszeitungen am Dienstag Klarheit schaffen. Verena Weber, eine Nachbarin von Bauer Seiler, habe in der fraglichen Nacht gegen drei Uhr zwischen Garage und Wagenschopf ein fremdes Auto anhalten sehen. Darauf sei jemand zur Scheune gelaufen, und etwas später, als die Frau, die um diese Zeit zur Arbeit ging, vor dem Hause auf ein Taxi wartete, sei das rote Auto ganz langsam an ihr vorbeigefahren, und sie habe erst jetzt bemerkt, dass der Kofferraum offen gewesen sei und es auffällig nach Benzin gestunken habe. Darauf habe sie versucht, die Nummer des Autos abzulesen, aber nur die ersten drei Ziffern, 1, 3 und 5, ausmachen können.

Hoffnung keimte. Wer kennt ein rotes Auto mit den Anfangszahlen 1, 3, 5? Die Polizei atmete auf, meldete den Zeitungen mit Zuversicht, man habe jetzt schon über 200 Hinweise überprüft, und warnte gleichzeitig vor übertriebenen Erwartungen, denn beim Auto, das die Zeugin gesehen habe, könne es sich um neunzig verschiedene Fahrzeuge mit den Nummern 13‘500 bis 13‘590 handeln. Die 1300er-Nummern seien im Kanton Luzern nämlich alle an Lastwagen vergeben und 135‘000er noch gar nicht vorhanden. Immerhin.

Ein Aargauer gesteht

Bauer Unternährer legte die offene Zeitung auf den Küchentisch. Das darf doch nicht wahr sein. Hatte er nicht letzten Samstag an der Strasse ins Freiamt ein rotes Auto mit diesen Anfangsnummern gesehen, alleine am Wegrand stehend? Allerdings hatte es eine Aargauer Nummer, und nach ein paar Stunden war es wieder fort. Macht nichts. Eine Anzeige kann nicht schaden. Und Unternährer ging zum Telefon. Man danke ihm für den Hinweis, sagte ein Polizist, man werde der Sache nachgehen. Als die Beamten am andern Morgen die Meldung überprüften und es im Sinne der Gründlichkeit für notwendig hielten, den Halter des Fahrzeugs, einen Freiämter, der in Luzern arbeitete, persönlich zu befragen, rief, es sah zuerst wie ein Zufall aus, ebendieser Mann die Kantonspolizei an und teilte schüchtern mit, man wolle doch die Fahndung nach dem bewussten Fahrzeug einstellen, denn die gesuchte Autonummer sei nämlich die seine. Dann gab er widersprüchliche Angaben. Die Polizei glaubte diesen Erklärungen nicht, holte den Mann am folgenden Tag in Luzern bei seiner Arbeit ab. Im Verhör, am Donnerstag, den 18. Februar, wiederholte er die am Telefon gemachten Angaben. Dann brach er zusammen, weinte und gab zu, seit Oktober 1980 die Grundhofscheune in Emmen, die Sagenbachscheune in Hochdorf und vier andere Gebäude in Brand gesteckt zu haben.

Am Freitag sassen der Kommandant der Kriminalpolizei, der Amtsstatthalter und der Direktor der kantonalen Gebäudeversicherung vor versammelter Presse an einem Tisch und gaben die Festnahme eines Pyromanen bekannt. Amtsstatthalter Büttiker mahnte trotzdem zu weiterer Wachsamkeit, und ein hoher Polizist sagte: «Es gibt mehr Brandstifter, als man denkt.»

Weitere Brände dieser Art gab es bis jetzt keine mehr im Luzerner Seetal. Und der Mai brachte den Bauern neuen Mut. Für zwölf Brandanschläge aber fand man keinen Täter. Ja, wer weiss denn überhaupt, ob Schwester Imelda, die Sakristanin von Eschenbach, richtig handelte, als sie das Bildnis der heiligen Agatha wieder im Schrank versorgte?

*Erwin Koch (geboren 1956) war bis zu seiner Pensionierung (vielfach ausgezeichneter) Journalist und wohnte, bis er Hitzkirch verliess, ab seinem siebten Lebensjahr im Meierhöfliquartier in Hitzkirch, wo er nun seit 18 Jahren wieder lebt.

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