Walter Imgrüth, Emmen
Dort wo sich früher feindliche Truppen in den Freischarenkämpfen gegenüberstanden, wo hemmungslose Wassermassen Land und Leute entlang der Emme mit Überschwemmungen bedrohten, wo Zöllner die Strassenbenützer mit hohen Abgaben schröpften, wo Anführer des Bauernkrieges am Galgen ihr Leben lassen mussten, laden uns heute Ampeln zum Verweilen in ab gasgeschwängerter Luft. Die scheinbar nicht zu bremsende Entwicklung des motorisierten Verkehrs macht es nötig, die Fahrt über den Seetalplatz durch die Technik zu regeln. Fussgänger werden in den Untergrund verbannt; das Überqueren des Platzes ist lebensgefährlich. Auch nach der Eröffnung der durchgehenden N2-Verbindung, die den Platz umfährt, spürt man keine Abnahme des enormen Verkehrs.
Das Gebiet an der Emmenbrücke hat sich im Laufe der Jahrhunderte verändert, am stärksten in den letzten 30 Jahren. Gleich geblieben ist seine Bedeutung für den Durchgangsverkehr, die sich zwar ursprünglich auf den Flussübergang konzentrierte und erst im 20. Jahrhundert auf die östliche Seite der Emme verschob. Wenn man also die Entwicklung des Platzes darstellen will, kommt man nicht darum herum, die Brücke miteinzubeziehen.
Von der Emmenbrücke zu den Zollhausbrücken
Wenn man heute von der alten Kantonsstrasse von Luzern her nach Emmenbrücke gelangen will, entdeckt man zwischen den beiden Zollhausbrücken auf der Reussbühler Seite einen alten Brückenkopf. Dieses kunstvoll geschnitzte Holzbauwerk nimmt sich zwar wie ein verirrtes Relikt aus einer andern Zeit zwischen den Anlagen und der Hektik des modernen Verkehrs aus. Der Brückenkopf erinnert uns an die vierte Emmenbrücke an jener Stelle, an der schon seit dem 13. Jahrhundert Übergänge über den oft ungehaltenen Fluss nachgewiesen werden können.
Zur Jahrhundertwende schlug der damals schönsten Holzbrücke Europas die letzte Stunde. Nur 116 Jahre lang überspannte sie das breite Flussbett, das vor der Korrektion noch doppelt so breit war und von Zeit zu Zeit grosse Flächen des Emmenfeldes (heutiger Seetalplatz) mit Wasser bedeckte. Welche Gründe waren für die Ersetzung dieses Veteranen verantwortlich?
- Sie genügte den Anforderungen des Verkehrs nicht mehr, d.h. die Tramlinie sollte verlängert werden, was natürlich über die gedeckte Holzbrücke mit Schwierigkeiten verbunden gewesen wäre.
- Das Lichtprofil von 3,60 m war ungenügend.
- Durch die Deformation der Hauptträger wurde die Fahrbahn äusserst holprig.
- Nach der Korrektion des Flussbettes genügte eine Brücke von halber Länge, und der übrige Teil konnte durch einen Strassendamm ersetzt werden.
- Die Holzbrücke bedeutete eine Unterbrechung des Schlittelweges. Mit dem Zuführen des Schnees auf die gedeckte Brücke war ein zu grosser Kraftaufwand verbunden. Fridolin Züsli schreibt dazu: «Einen ganz fröhlichen Anblick boten jedoch die grossen Schlittenpartien, die die ‹Hohen Herren› von Luzern veranstalteten. Bis zu zehn fein ausgepolsterte ‹Herrenschlitten› mit freundlichen Damengesichtern gespickt und rassigen Pferden bespannt, fuhren durchs Dorf Gerliswil hinauf. Ein Schlitten war immer mit einer flotten Ländlermusik besetzt. Die fröhliche Fahrt ging gewöhnlich über Rothenburg ins Gebiet von Rain usw., wo irgendwo gefestet und gespiesen wurde. Irgendwann in der Nacht kehrte die Gesellschaft dann mehr oder weniger ‹beweint› zurück.» (aus: Züsli, Gerliswil-Emmen um die Jahrhundertwende. Verlag «Die Heimat» 1969)
- Nachts dienten die Nischen auf der Brücke allerlei Gesindel als Versteck, was v.a. für heimkehrende Frauen eine Gefahr bedeutet haben soll.
1902 erbaute die Firma Bell in Kriens eine neue Brücke, eine Eisenkonstruktion von 70 Metern Länge und 10,5 Metern Breite. Einen Viertel der Baukosten steuerte die Stadt Luzern bei, weil sie nun die Strassenbahn über die Brücke führen konnte. Die Gemeinden Emmen und Littau hatten nichts zu bezahlen. 1937 musste auf der Reussbühler Seite eine Verbreiterung vorgenommen werden. Der Verkehr nach Bern wurde schon vor der Brücke nach links vor dem neuen Verkehrsteiler abgezweigt.
Hochwasser
Wie schon im 19. Jahrhundert gebärdete sich die Emme in Zeiten der Schneeschmelze oder der heftigen Gewitter im Einzugsgebiet als verheerender Fluss. Überschwemmte sie vor der Korrektion einfach weite Teile des Emmenfeldes bis hinunter zum Dorf, dabei ihren eigenen (ursprünglichen) Weg suchend, so wurde sie später in ihr künstliches Bett eingezwängt. Das Wasser reichte jeweils aber bedrohlich nahe unter die Brücke und schwemmte dabei grosse Mengen Holz an. Das war meistens für mutige Leute ein Grund zur Freude. Unter grosser Gefahr versuchten Männer und Burschen das wertvolle Brennmaterial an Land zu ziehen, wo die Buben bereitstanden, es abzutransportieren. Das Gratis-Brennholz reichte wieder für lange Zeit, was etwas heissen sollte bei der damaligen Heizerei und Kocherei. Lesen wir noch, was Fridolin Züsli über das grosse Hochwasser 1910 geschrieben hat:
«Das grösste Hochwasser, das mir noch sehr gut in Erinnerung ist, war jenes vom Juni 1910. So gut und stark wie heute war die Emme von der Emmenweid her noch nicht verbaut. Statt der alten Holzwuhren, waren allerdings schon mächtige Steinquader am Ufer versetzt, um das Auswaschen und Unterhöhlen des Ufers zu verhindern. Bei diesem Hochwasser war es gut zu beobachten, wie die Emme gerne wieder den uralten Weg eingeschlagen hätte, statt wie jetzt beim Emmenknie einen Bogen zu machen. Das in unvorstellbarem Strom heranwälzende Wasser mit ganzen Flossen von Tannen, Grotzli, Gesträuch, hielt sich nicht mehr an den gewohnten Weg, es wollte einfach geradeaus fliessen. Etwas unterhalb des Pumphäuschens wälzten sich die erdbraunen Fluten direkt über das zum Glück noch nicht bebaute Emmenfeld. Der Damm brach und das Wasser strömte ungehemmt dem Emmenbaum zu. Von hier bis zur Emmenbrücke mussten Stege angelegt werden, um wenigstens den Fussgängerverkehr aufrecht zu erhalten. Das waren schwere Tage für den Emmenbaum-Wirt. Hoffentlich waren seine Weinflaschen und Fässer gut verschlossen, dass nicht auch noch Emmenwasser dazu floss.»
Die Veränderung der letzten 30 Jahre
Die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg brachte eine rasante Zunahme des Verkehrs auf der Nord-Süd-Achse. Die Zahl der einheimischen Autobesitzer vervielfachte sich in kürzester Zeit, dazu kamen alljährlich zur Sommerszeit Tausende von Ferienreisenden aus dem Norden, die über den Seetalplatz und die Emmenbrücke nach Luzern gelangen wollten. Die Entwicklung der grossen Industrien am Emmeknie (Viscosuisse, von Moos-Stahl) brachten den Werk- und Pendelverkehr, weil viele Angestellte ihr privates Fahrzeug benützen. Dort wo sich früher die Emme bei Hochwasser wild gebärdete, später der FC Emmenbrücke seine Tore schoss, entstand ein riesiger Parkplatz der Viscosuisse. Aber auch Bewohner der Stadt Luzern zogen in die erweiterte Agglomeration in ruhigere Wohngebiete und pendeln nun an ihre Arbeitsplätze in der Stadt, was natürlich den Verkehr wieder anwachsen liess. In Stosszeiten musste auf dem Platz vor dem Übergang über die Emme mit Staus, einem Verkehrschaos oder mit Unfällen gerechnet werden. Oft versuchte ein Polizist mitten auf der Strasse, nicht geschützt durch eine Verkehrsinsel, Ordnung in den aufkommenden Verkehr zu bringen.
1959 verschwand dann das an Schienen gebundene Tram und machte dem flexibleren Trolleybus Platz. Trotzdem war die Situation mit der Zeit nicht mehr haltbar. Entweder Verminderung des motorisierten Verkehrs oder Ausbau des Emmenfeldes zu Gunsten eines reibungslosen Verkehrsablaufes hiess die Alternative.
Das heutige Gesicht des Seetalplatzes
Im Winter 1968/69 wurde auf einer Länge von 400 Metern das Flussbett erneut verlegt, um Neuland für die geplanten Brückeneinfahrten beim Zollhaus zu gewinnen. Kurze Zeit später entstanden an Stelle der fünften Brücke zwei neue Übergänge, einer etwas weiter flussaufwärts, der andere an der gleichen Stelle. Die beiden neuen Schwesternbrücken sechs und sieben machten es möglich, den Verkehr richtungsgetrennt auf den Seetalplatz, bzw. von ihm weg zu führen. Dieser neue Platz entstand ungefähr gleichzeitig und wurde als grosser Doppelkreisel mit verschiedenen Zu- und Wegfahrmöglichkeiten konzipiert. Der Zugang zu Post, Bahnhof und BEAG wurde aufgehoben, was den meisten Geschäften in diesem Gebiet die Existenz kostete und sie zum Ausziehen zwang.
Dieser Doppelkreisel, einer Achterbahn auf der Ebene ähnlich, regelt den Verkehr automatisch durch eine Vielzahl an Ampeln. Auch mitten in der Nacht, wenn der Platz. praktisch menschenleer ist und die Beleuchtung einen Eindruck wie auf einem Sportplatz vermittelt, stottert der einsame Spätheimkehrer von Ampel zu Ampel. Etwas kurios ist auch die Streckenführung von Luzern her in Richtung Bern, Man überquert dabei zuerst die Ostbrücke auf das Gemeindegebiet von Emmen, um nach einem Rotlichthalt über die Westbrücke zurück nach Littau zu gelangen. Die verkehrstechnische Bedeutung kommt auch in ein paar Zahlen zum Ausdruck:
- Baukosten des Seetalplatzes: ca. 5 Millionen Franken
- Kosten der beiden Brücken: ca. 1 Million Franken
- Länge der Fussgängerunterführung: 144 Meter
- Fläche der ganzen Überbauung: 18‘500 m
- Anzahl Verkehrsampeln: 70
- Anzahl Wegweiser: 50
- Anzahl Verkehrszeichen: 80
Nicht nur das Gebiet, auch Namen verändern sich
Weit und breit ist kein Emmenfeld mehr zu sehen. Industriebetriebe, Parkplätze und Strasseneinrichtungen bedecken heute ein ehemaliges Flussgebiet, das von Zeit zu Zeit unter Wasser stand. Wie ein Hohn nimmt sich heute der Rasen innerhalb des Kreisels aus, isoliert von jeglichem Leben. Kein Mensch verirrt sich hierher, zu gross ist die Gefahr beim Überqueren der Strasse, an Abgasen zu erkranken oder am immerwährenden Lärm abzustumpfen. Hier erübrigt sich ein Schild: «Rasen betreten verboten». So verwundert es nicht, dass auch der geschichtsträchtige Name «Emmenfeld» langsam verschwunden ist. Sein neuer Name ist jetzt «Seetalplatz», obwohl nirgends ein See zu finden ist. Bald sind uns die neuen Bezeichnungen so geläufig, dass wir historisch gewachsene Begriffe nur noch in alten Schriften finden.
Verwendete Literatur:
- Bucher, Alfred: Brückenleben. Verlag Die Heimat, Emmenbrücke, 1972
- Züsli, Fridolin: Gerliswil – Emmen um die Jahrhundertwende. Verlag «Die Heimat», Emmenbrücke, 1969
Walter Imgrüth , geboren 1945 in Emmen, aufgewachsen und immer noch wohnhaft in dieser Gemeinde. Ein starker Bezug zum Seetal, einerseits durch die Tätigkeit als Prorektor am Seminar Hitzkirch und später an der Mittelschule Seetal in Baldegg, als Geschäftsleitungsmitglied der Pro Heidegg und nicht zuletzt als Grossvater, dessen Enkel in Ermensee wohnen und zur Schule gehen.