Bild: Seetaler Brattig

*Fridolin Zemp, Kleinwangen

Damit Sie, liebe Leserinnen und Leser, sich ein einigermassen richtiges Bild vom «Häxehöbu» unterhalb der Tannegg in Gelfingen machen können, muss ich Sie in die frühen Dreissigerjahre zurückversetzen. Diese Zeit war einerseits von der Arbeitslosigkeit geprägt, anderseits vom harten Existenzkampf des freien Unternehmers. Zwei pure Gegensätze: Man musste sich enorm einsetzen, um eine Familie durchbringen zu können, und in den Zeitungen konnte man seitenweise Anzeigen über unverschuldete Konkurse von Liegenschaftsbesitzern lesen.

Damals gab es unter den Unternehmern sogenannte Akkordanten, d.h. möglichst viel Handarbeit musste innert kurzer Zeit geleistet werden. Einer der bekanntesten Akkordanten war damals Vater Josef Eiholzer in Lieli. Er hatte zehn Söhne, die alle mit Pickel und Schaufel zugriffen. Eiholzer schuf zu dieser Zeit u.a. das ganze Wasserversorgungsnetz seiner Gemeinde. Unmengen von Kies wurden für die verschiedensten Bauvorhaben benötigt, so dass seine Söhne in vollem Einsatz in umliegenden Kiesgruben anzutreffen waren. Vor allem im Frühjahr und im Herbst mussten die Strassen «grienet» werden.

Bild: Seetaler Brattig

Kies war ein so sehr begehrtes Material, dass in fast allen Gemeinden Kiesgruben zu finden waren. Allein in Kleinwangen gab es deren vier, nämlich die Gruben «Weber», «Dober», «Helgenbühl» und «Ibenmoos». Weitere Gruben gab es in Gelfingen, Hämikon, Müswangen, Richensee, Aesch, Ballwil, Eschenbach usw. Es gab Bauern, die ihre Güterstrassen mit Kies aus einer eigenen Grube unterhielten.

Wenn man damals von Kleinwangen aus auf dem Fussweg Richtung Gelfingen marschierte, so kam man unterhalb der Tannegg an einem riesigen Felsblock vorbei, der am Boden ungefähr 30 Meter breit war und eine Höhe von gut 20 Metern aufwies. Es handelte sich um einen sogenannten Findling, einen blauen Granitstein. Oder war er blaugrau? Auf uns wirkte dieser Stein wie eine magische Kraft. Wir machten bei ihm sogar Station, wenn wir an der Auffahrt nach Hitzkirch an die Prozession gingen.

Diesem Häxehöbu wurde plötzlich zu Leibe gerückt. Für Vater Eiholzer und seine Söhne Robert, Heiri, Alois, Franz, Josef, Grazy, Richard, Hans-Jakob und Albin war das ein sehr willkommener Auftrag. Bei der Firma Schaller, Kiesgeschäft in Hitzkirch, wurde ein wuchtiger Steinbrecher gemietet. Ein Zweikolben-Dieselmotor von einem Meter Breite und anderthalb Metern Höhe betrieb den mit einem Schwungrad versehenen Brecher. Um die Steine maschinell sortieren zu können, wurde dem Brecher eine «Rölle» angeschlossen,

Sohn Alois war Maschinist. Er brauchte gute technische Kenntnisse und etwas Fingerspitzengefühl, wenn der Motor mit Hilfe von zwei Zündpatronen in Gang gesetzt werden musste. Der Motor war so laut, dass man ihn weithin hören konnte, bei schönem Wetter schon morgens fünf Uhr bis nach Kleinwangen. Eine Beschriftung wies darauf hin, dass der Motor von der Firma Brun in Nebikon geliefert worden war.

Sprenglöcher wurden in den harten Stein gebohrt, mit Chedit gefüllt und zur Explosion gebracht. Der auf diese Weise gewonnene Schotter wurde hauptsächlich für das Trassee der Seetalbahn verwendet. Ein Grossbezüger war aber auch das Baugeschäft Ferrari in Hochdorf. Arbenz-, Saurer-, und Berna-Lastwagen mit Vollgummibereifung fuhren beim Findling vor und gingen schwer beladen wieder weg. Aber auch viele mit Pferden bespannte «Grienbännen» wurden mit Kies beladen.

Die SBB bezahlte damals für den Kubik Bahnschotter ungefähr acht Franken. Dem Besitzer des zum Abbruch verurteilten Findlings, dem Bauer Meyer, mussten hingegen nur fünfzig Rappen bezahlt werden. Der Stundenlohn für die flinken und starken Eiholzer-Söhne betrug 80 oder 85 Rappen. Damit konnte man leben, kostete doch eine Flasche Bier «über die Gasse» nur 35 Rappen, ein Liter Most je nach Qualität zwischen einem und zwei Batzen. Alois Eiholzer erzählte mir, dass zwei Männer sogar über den Mittag Kies mit der Schaufel aufgeladen hätten: innert 20 Minuten 3,3 Kubik! Damit konnten sie den Zahltag etwas aufbessern.

Bild: Seetaler Brattig

Vater Eiholzer war auch stolzer Besitzer des ersten Autos in Lieli. Es war ein Vierzylinder der Marke «Basse und Selve». Schon damals schrieb die Versicherung feuersichere Garagen vor. Im Wagen fanden bis zu zwölf Personen Platz. Mehrmals soll es vorgekommen sein, dass beim «gächen Stutz», zwischen Gelfingen und Lieli ausgestiegen und der «Basse und Selve» mit aller Kraft geschoben werden musste. Vater Eiholzer liess später das Auto in Einzelteile zerlegen, um auf ihm einen Wellenbock konstruieren zu können. Mit Hilfe eines Drahtseils und einer Winde wurden die Rollwägelchen mit dem Motor hochgezogen, um das Kies leichter abladen zu können.

Alle meinten, dass der Granitstein tief im Boden sich waagrecht gegen die Tannegg hinziehen würde. Aber plötzlich fanden die Sprengbohrer keinen Widerstand mehr. Der Stein hatte bloss den Boden etwas eingedrückt. Er sass da fast wie ein aufgeschlagenes Eigelb in seiner Schale. Er reichte bloss fünf Meter in den Boden.

Als der Stein fertig abgebrochen war, drückte plötzlich das Grundwasser nach oben, ein kleiner Teich entstand. Rohrkolben und andere Wasserpflanzen wuchsen, Frösche und Kröten machten sich in diesem natürlich entstandenen Biotop breit. Heute ist das Teichli weitgehend zugedeckt. Wie schön wäre es, wenn man es wieder in seinen früheren Zustand zurückversetzen könnte. Für unsere Nachkommen wäre das eine grosse Bereicherung. Wie würden unsere Kinder und Kindeskinder staunen, wenn ihnen vor dem Weiher erzählt würde: «Hier stand jahrtausendelang der mächtige, zwanzig Meter hohe Häxehöbu!»

*Fridolin Zemp (1923–2011) lebte in Kleinwangen, wo er eine Baumschule aufbaute und zeitlebens betrieb. Später übernahm sie sein Sohn gleichen Namens. Insbesondere das grosse Rosenfeld erfreut im Frühsomiter jeweils die vielen Spaziergänger. Acht Jahre lang gehörte Fridolin Zemp dem Gemeinderat Hohenrain an, wo er sich «als erfolgreicher Geschäftsmann insbesondere für die Interessen des einheimischen Gewerbes und die Anliegen der BevöIkerung von Kleinwangen» einsetzte, wie es im Nachruf hiess.

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