Die alte Post in Gelfingen 1939. | © Seetaler Brattig 2014

*Dieter Ruckstuhl, Gelfingen

Hart am Dorfkreisel von Gelfingen, dem alten Postplatz, steht ein vielhundertjähriges Bauernhaus. Hier verzweigt sich seit alters her die Seetalstrasse von Luzern nach Richensee, Hitzkirch und Sulz. Der Schmalseite mit zwei fünffenstrigen Geschossen und einem Dachgeschoss unter einem geknickten Satteldach ist ein schmucker Bauerngarten vorgelagert. Die kreiselseitige Längsseite mit Querdach wird durch einen Scheunenanbau fortgesetzt. Aus der gelben Schindelfassade mit grünen Jalousien grüssen leuchtend rote Geranien. Über eine Steintreppe gelangt man durch eine rautenförmige Eichentür in den Flur des Wohnhausteils. Geradeaus und rechts sind die Wohnräume, links das alte Postbüro.

5 auf 2 Meter misst der Eckraum. Zwei Fenster erlauben den Blick auf die Strasse, eines in Richtung Luzern. Sie waren bis 1951 vergittert, als die Post in einen Neubau an der Luzernerstrasse umzog. Fensterlicht fällt auf das mintgrüne Getäfer der Wände und der Decke und auf den dunkeln Riemenboden. An dieWände gestellt sind ein schmales Pult und ein Tisch, beide aus Hartholz, und weiter hinten ein Stehpult mit vielen Schüben und zuoberst einer aufklappbaren Schreibfläche. Die marmorierte Schaltertür schliesst den Raum zum Korridor hin ab, mit einem Ablagebrett für die Kundschaft. Die obere Türhälfte ist verglast und lässt sich von innen hochschieben. Für kleineres Postgut dient ein Türchen als Durchlass.

So sieht das ehemalige Post-Bureau noch im Oktober 2012 aus, wenige Tage bevor das Haus einem grossen Neubau Platz machen muss. Im Büro, im beigen Hausflur und auf der Aussentreppe hat sich jahrzehntelang dörfliches Postgeschehen abgespielt. Hier scheint die Zeit stillzustehen, wäre da nicht die stetige Geräuschkulisse anfahrender und abbremsender Motorfahrzeuge.

Bis ins 17. Jahrhundert zurückreichende Geschichte

Seit wann wohl der bescheidene Raum zu Postzwecken diente? Jakob Müller, Besitzer und in der Alten Post aufgewachsen, weiss, dass schon die Stiefschwester seines Grossvaters und Göttis, Franz Widmer, das Bethli, Posthalterin war. Und den Bau des Hauses schätzt Jakobs Gattin Berta Müller ins 17. Jahrhundert, genau wisse man es nicht. Für ein hohes Alter sprächen der Gewölbekeller und die Holzsäulen und -balken im angrenzenden Keller.

Ein letztes Mal ist Gelegenheit, mit Zeitzeugen im bereits ausgeräumten Zimmer Postleben und Personen in Erinnerung zu rufen. Die Erzählungen von Müllers und von Tante Luzia berühren die 1930er- bis 1950er-Jahre. Luzia ist wie Jakobs verstorbene Mutter eine von sechs Töchtern des ehemaligen Posthalters Franz Widmer und seiner Frau Josefine Kiener, der «Postmutter».

Das Betreten des Büros sei für die Kinder tabu gewesen, Post und Privatleben waren strikt getrennt. Luzia: «Das isch es strängs Gheimnis gsii, nei, de Vater het’s gnau gnoh.» Beim Zustellen der Post jedoch hatten die Mädchen mitzuhelfen. Luzia: «Mir Meitschi sind amigs z’zwöite ggange, eis het d Täsche ghaa mit Ziitige und Briefe, und s’andere het Läderrieme ghaa und Päckli hinde und vorne.» Alles wurde getragen, bloss «die ganz schwäre Pack hend’s müesse cho hole.» Und im Winter? «De bisch au gstampfet, z› Fuess». Jakob: «MitWadebinde bis a d’Chnöi ue.» Luzia: «D’Socke gfroore, bis hei cho bisch».

Zur Postkundschaft zählten auch die Besitzer von Schloss Heidegg. Berta zu Jakob: «Dini Mueter het mängisch müesse am Abe spät uf s Schloss go Telegramm bringe». Luzia: «De Herr Baron isch aume abe go d’Züri-Ziitig hole, und mer händ em eifach de Herr Baron gseit. Mer het müesse schön go’s Händeli gä: Guete Tag, Herr Baron!… Jo, dä het immer uf de Strass d’Ziitig gläse und de Stäcke binem gha.» Weil Heidegg wie die Aussenhöfe und das Dorf Sulz weiter entfernt war, durften die Schlossbewohner Einzahlungen dem Briefträger mitgeben.

Madame von Glutz und Madame de Chambrier fielen im Dorf durch ihren teils noblen, teils wunderlichen Lebensstil auf. Auch Gerüchte machten die Runde. Luzia: «Es het ame gheisse, die tüegid aues Papiergäld mit Alkohol abwäsche, dass keni Bazille chömid.» Jakob: «Und sind gliich gstorbe.» Luzia: «Es isch ne scho Ehr aatooh worde. Grosse Huet und no Hals-Chettene, gfärbti Hoor. De Vatter het mängisch gseit, die tätet sich gschiider wäsche weder puudere.»

Ein Telegramm für die Damen von Heidegg

Unsere Zeitzeugen kommen auch auf den Postalltag zu sprechen. Dieser richtete sich nach dem Takt der Bahnpost. Luzia: «Wenn d gseh hesch, dass de Zug vo Risee (Richensee) undenue chunnt, de hesch grad no füre möge, suscht hesch müesse springe.» Bei der nahen Station Gelfingen, hinter dem Gasthof Sternen, wurde die Post des Hitzkirchertals aus- und eingeladen. Posthalter Leu aus Schongau, «de Schonger», brachte seit den 1920er-Jahren mit dem Auto die Post zum Siebenuhrzug und fuhr dann weiter nach Hitzkirch. Und der Gelfinger Posthalter oder der Briefträger holte die Ware für Gelfingen und Sulz jeweils mit dem Handwagen auf dem Perron ab.

Dank unverhofft zahlreichen Schriftstücken und Fotografien in privaten und öffentlichen Archiven lassen sich die mündlichen Erzählungen ins Ganze der Dorfpostgeschichte einfügen. Für die Zeit der Kantonalen Post in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts notierte Schulmeister Josef Jans in seiner unveröffentlichten Heimatkunde, der Bau des kantonalen Kunststrassennetzes habe den Postverkehr stark anwachsen lassen, 1843 seien schon drei Kurse wöchentlich nach Luzern abgegangen. Eine grundlegende, bis in alle Winkel des Landes spürbare Neuerung bewirkte dann der Bundesstaat. Er führte schon 1849 eine eidgenössische Post ein. Von Luzern nach Hitzkirch–Fahrwangen fuhren nun täglich zwei Postkurse.

Als 1883 die Seetalbahn den Betrieb aufnahm und Gelfingen eine Postablage erhielt, verkehrten täglich bereits fünf Bahnkurse nach Luzern. Julie Widmer, die erste Postablagehalterin, stammte aus einem dominierenden Gelfinger Geschlecht. Seit dem 18. Jahrhundert bis 1841 hatte der Staat der Familie die Schaffnerei über das Schlossgut Heidegg übertragen. Die Widmer wirteten im Goldenen Sternen und im benachbarten Weissen Rössli, der nachmaligen Post. Als liberale Politiker und Freischärler wurden sie zwar zwischenzeitlich mit Verbannung und hohen Bussen belegt. Trotzdem vermochte Julies Vater, Franz Widmer, nach dem Sonderbundskrieg bis zum Regierungs- und Nationalrat aufzusteigen. Es ist fast selbstverständlich, dass die Familie auch Bahnstation und Post besorgte.

1991 endete die Postgeschichte

Als sich Julie 1885 verehelichte, übernahm ihre Cousine Bethli die Ablage. 1894 wurde sie zur Posthalterin befördert, das Büro dürfte sich seither kaum mehr verändert haben. Nach ihrem Tod 1914 – Bethli verstarb im Zimmer neben dem Postbüro — übernahm ihr Halbbruder, Franz Widmer, die Postuniform. Und mit Franz sind wir bereits wieder bei seinen sechs Töchtern angelangt: Elisabeth (Müller), Josy (Stalder), Barbara (Wey), Marie (Christen), Berta (Suter) und Luzia (Schmidlin). Die Hochzeitsglocken für Berta und Hans Suter läuteten 1951 auch das Ende der Post im alten Postgebäude ein, wenn auch mit Berta am neuen Ort die Posthalterdynastie Widmer noch bis 1991 weiterbestand.

Hinweis: 2013 und 2014 stand die alte Schaltertür im Schlossmuseum Heidegg, zusammen mit den übrigen Möbeln und einem Stück Wandtäfer des Büros. Noch einmal lassen die hör- und sichtbaren Postkartengrüsse mit dem Stempel von Gelfingen die Alte Post und ihre Menschen aufleben.

*Dieter Ruckstuhl-Bättig (geboren 1961) studierte Sekundarlehrer phil. I in Zürich und Montpellier und Geschichte in Bern. Seit 1995 wirkt er als Konservator, heute als Geschäftsführer und Kurator von Schloss Heidegg, wo er mit seiner Familie lebt. Er ist aktiv in historischen und touristischen Vereinen und leitet seit 2014 das Pfarreiarchiv Hitzkirch.

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